„Wir wollen nicht vier Jahre auf die Couch“

■ Die SPD-Spitzenkandidaten Henning Scherf und Hans-Helmut Euler zeigen Einigkeit im taz-Streitgespräch

taz: Sie gehören beide dem gleichen SPD-Ortsverein an. Wann sind Sie sich da das letzte Mal begegnet?

Euler: Als wir den damaligen Vorstand gestürzt haben: Brigitte Dreyer, die heute bei der CDU ist. Da haben wir beide gemeint, es müßte sich was ändern und uns verabredet. Daran sehen Sie, daß wir auch gemeinsam vorgehen können. Das war ungefähr vor einem Jahr, oder?

Scherf: Ende letzten Jahres. Wir haben dann einen gemeinsamen neuen Vorsitzenden, den Sekretär der IG Bau Steine Erden, Wolfgang Jägers, gewählt, und einen neuen Anfang versucht. Das haben wir beide unterstützt.

Gab es mal einen Punkt, an dem Sie sich richtig zerstritten haben?

Scherf: Wir hatten eine komplizierte Lage, als Klaus Wedemeier und ich gegeneinander kandidierten. Da habe ich relativ spät gemerkt, daß Hans-Helmut Euler fest mit Wedemeier verabredet war. Aber gestritten haben wir uns deswegen nicht.

Euler: Nein, es war keine Verstimmung zwischen uns, weil wir im Grunde immer zusammen gegangen sind und uns zusammengehörig fühlten. Ich hatte damals nur eine Entscheidung für eine Persönlichkeit gefällt.

Steht die SPD jetzt auch wieder vor einer Entscheidung über Persönlichkeit ohne Inhalt?

Scherf: Wir beide möchten gerne der Öffentlichkeit ein Beispiel dafür geben, daß man befreundet sein kann – und zwar langjährig und nicht nur persönlich, sondern über die ganze Familie – und trotzdem sachliche, inhaltliche Meinungsverschiedenheiten austragen kann.

Euler: Das ist eine Frage der Kultur, wie man eine Auseinandersetzung pflegt. Da wir beide uns mögen und aus dem gleichen Flügel der SPD kommen, ist es völlig klar, daß es nur sachliche Gegensätze sein können, die wir heftig aber fair und ohne persönliche Verletzungen austragen werden.

Welche inhaltlichen Gegensätze haben Sie denn?

Euler: Der Hauptgegensatz ist, daß ich bei einer rot-grünen Koalition in der jetzigen Phase hier in Bremen nicht die Mehrheit sehe, die schwierigen Fragen zu lösen. Über die Fragen selbst kann es keinen Streit geben. Da muß das Sanierungsprogramm umgesetzt werden. Da kann man im Detail vielleicht einzelne Unterschiede haben, das ist aber keine Prinzipienfrage. Und ich bin der Meinung, das geht nur mit einer großen Koalition.

Sie fürchten um die Mehrheit. Das heißt, Sie haben die größere Angst vor der eigenen Partei als Henning Scherf?

Euler: Wir beide haben Erfahrung mit einer Regierung, die auch nur eine Stimme Mehrheit hatte. Und das ist eine sehr schwierige Sache. Da kommt dann irgendein Abgeordneter und entwickelt persönliche Befindlichkeiten, und dann wackeln die anderen 50. Das, was wir in Bremen vorhaben, verdient solche Erpressungsversuche nicht. Deswegen finde ich eine breite Basis sinnvoll. Und ich finde, daß in dieser schwierigen Lage jetzt auch die konservative Seite mit in die Verantwortung muß. Das gilt aber nur für vier Jahre und nicht etwa wie in Österreich für Jahrzehnte. Das ist eine ganz pragmatische Antwort auf eine schwierige Frage.

Scherf: Ich glaube entgegengesetzt, daß wir nicht in diesem traditionellen Klientelmuster weiterarbeiten dürfen: Mal was für Kultur, soziale Netze, Ökogruppen, Bildung ausgeben, und wenn man das nicht mehr tut, laufen einem die Bataillone weg. Das ist in den vergangenen Jahren sehr prägend gewesen für unsere Politik. Ich bin fest davon überzeugt, daß das nicht mehr geht. Wir kommen nur noch weiter, wenn wir bei Grünen wie Sozialdemokraten unter brutalen Sparbedingungen einen Umbau mit dem eigenen Klientel zuwege bringen. Und diese Entschlossenheit muß damit anfangen, daß ich jeden in der Fraktion ernst nehme. Der Ausweg in die Große Koalition ist dagegen im Kern ein resignatives Konzept.

Trotzdem schließen Sie doch nicht aus, als Kandidat auch für dieses resignative Konzept zur Verfügung zu stehen?

Scherf: Alle Kandidaten müssen dazu beitragen, daß wir nach diesem Wahldebakel den verbliebenen Teil der Sozialdemokratie zusammenkriegen, damit sie sich wieder was zutrauen. Wir haben keine Pause nötig, wir wollen nicht für vier Jahre auf die Couch. Dabei müssen wir auf jeden einzelnen aufpassen.

Wie kommen Sie darauf, daß ausgerechnet Sie das besonders gut könnten, wo Sie doch über 20 Jahre die Bremer SPD entscheidend mitgeprägt haben?

Scherf: Ich bin doch nicht der Zaubermeister, der plötzlich auftaucht und alles kann. Ich möchte aber gerne sagen: Ich privatisiere nicht, ich gehe nicht zur taz als Kolumnenschreiber. Ich möchte gerne mit allem, was ich kann, mitmachen.

Sie sind doch Mitglied im SPD-Bundesvorstand. Warum haben Sie sich nicht dort erstmal nach kompetenten Leuten von außerhalb umgesehen, bevor Sie gleich ihre eigene Kandidatur anmelden?

Scherf: Wir beide sind der Meinung: Wenn man so einen ins Kontor gekriegt hat wie wir, dann ist dieses Rumgucken außerhalb nicht überzeugend. Wir müssen mit denen, die das hier verantwortlich gemacht haben, eine Anstrengung aus der Mitte unserer Organisation schaffen. Das gilt ja auch für Bremen insgesamt. Da können wir auch nicht auf Waigels Millionen warten.

Euler: Ein Import von außen wäre wirklich ganz erbärmlich. Meine Kandidatur soll unter anderem auch zeigen, daß wir noch Leute haben, die sich zur Verfügung stellen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß unser blamables Wahlergebnis auch durch unsere eigenen Mitglieder zustandegekommen ist, die nicht zur Wahl gegangen sind. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die wichtigsten Fragen zur Zeit von den Grünen gestellt werden. Das ist für einen Sozialdemokraten unerträglich.

Was waren Ihre größten Fehler in der Senatspolitik der vergangenen Jahre?

Scherf: Daß wir es nie geschafft haben, die Senatskommission für das Personalwesen aufzulösen, finde ich einen strategischen Fehler. Wir hatten immer gute Ideen – Euler übrigens auch – und sind doch gegen Wände gerannt. Und ich finde es nicht richtig, daß wir die Stadtreparatur – Schulen, Kindergärten, Straßen – immer nur in der Zentrale verwaltet haben. Man muß eine radikale Dezentralisierung der knappen Mittel durchsetzen und den Leuten sagen: Mehr Geld haben wir nicht, aber wir wollen es mit Euch zusammen so verwenden, daß es für Euch optimal ist. Dann kommt die Bereitschaft, mit anzupacken.

Euler: Es gibt dafür gute Erfahrungen. Eine meiner letzten Handlungen zusammen mit Herbert Brückner war damals die Verselbständigung der Krankenhäuser. Da ist uns vorgeworfen worden, daß wir sehr viel Geld dafür ausgegeben haben.

Im Ergebnis ist es aber eindeutig den Krankenhäusern zugute gekommen. Die arbeiten heute sehr viel besser als das bei der zentralen Organisation durch die Gesundheitsbehörde der Fall war. Das ist schwer für einen einzugestehen, der 68/69 einmal angefangen hat mit der These, alles muß über die Gesellschaft, sprich den Staat, geleistet werden. Wir müssen heute Bürger mehr beteiligen.

Das ist kein Widerspruch zur Großen Koalition. Denn diese Kultur muß gelernt werden, und das braucht Zeit und Kraft und eine breite Mehrheit.

Sie haben eben so überzeugt genickt, Herr Scherf. Sie sind 1978 als Finanzsenator mit der Vorstellung angetreten, Arbeitslosigkeit durch Neueinstellungen im Öffentlichen Dienst zu bekämpfen...

Scherf: Das ist eine reine Mär, die mir seit Jahren angeklebt wird.

Die aber so in den damaligen Bürgerschaftsprotokollen nachzulesen ist. Das Stichwort hieß: antizyklische Finanzpolitik.

Scherf: Ich habe damals gesagt, wir müssen mit der Bundesregierung mitziehen. Aber als Helmut Schmidt das dann schon abgestoppt hat, habe ich gesagt: Wir mit unserem kleinen Bremer Haushalt sind nicht in der Lage, die Bonner Entwicklung zu konterkarieren.

Sie waren für den Haushalt 1979 verantwortlich, und der weist im Vergleich zum Vorjahr 341 zusätzliche Stellen aus.

Scherf: Die einzige wirklich expansive Ausgabe, die zusätzlich in diesem Haushalt genehmigt worden ist, waren 100 Millionen für die Ansiedlung von Mercedes. Darüber haben wir lange diskutiert, und ich finde nach wie vor, daß diese Investition sich in einem vielfachen Maße für Bremen ausgezahlt hat.

Als Sozialsenator war eines Ihrer Hauptprojekte die Neuorganisation der Sozialen Dienste (NOSD). Halten Sie dieses Experiment für gelungen?

Scherf: Auch darüber werden böse Legenden verbreitet. Die NOSD ist im Haushaltsausschuß begonnen worden. Da ist ein Konzept für die Zukunft der Sozialarbeit in der Stadt verlangt worden. Dann hat die SKP daraus ein Projekt gemacht...

Die NOSD war gar nicht Ihr Kind?

Scherf: Ich habe das im Haushaltsausschuß angestoßen. Aber dann sind die Gutachter von der SKP bestellt worden. Und die haben ein daumendickes Gutachten vorgelegt, das mein Vorgänger als Sozialsenator, Walter Franke, zu den Akten gelegt hat. Der fand, das geht mit den Personalräten nie.

Als ich dann 1979 in das Ressort kam, haben wir uns entschlossen, das aufzugreifen und haben es in einem langen Arbeitsprozeß umgesetzt. Und ich glaube nach wie vor trotz der unfreundlichen Kommentare, die in Bremer Zeitungen darüber stehen, daß das Konzept in der Sache begründet war. Wenn der Vorwurf kommt, da seien zu viele Gremien entstanden, dann kann man die verschlanken, verkürzen. Aber man muß das Ganze nicht auf den Müll schmeißen.

Herr Euler, Sie haben als Zeuge im Galla-Untersuchungsausschuß den Satz gesagt: „Auch wenn man nichts tut, handelt man.“ Es ging damals um die Frage, warum Sie als zuständiger Senatsdirektor nichts von den Betrügereien in der Schwarzgeld-Klinik mitbekommen haben...

Euler: Wir waren schon in der Vorbereitung der Verselbständigung der Krankenhäuser und hatten die Absicht, den Krankenhausdirektionen soviel Freiheit wie möglich zu lassen.

War dieses Handeln durch Nichtstun das richtige Konzept?

Euler: Ja, aber alle Konzepte stehen und fallen mit den Personen, die sie ausfüllen. Und hier ist eine Person mit krimineller Energie damit umgegangen. Da können Sie nichts machen, das wird immer wieder passieren. Wenn Sie Verantwortung delegieren, laufen Sie ein Risiko. Galla war auf eine bestimmte Weise ja auch genial. Selbst wenn man abzieht, was er in die eigene Tasche gepackt hat, hat er für das St.-Jürgen-Krankenhaus eine ganze Masse herausgeholt.

Krankenhausreform, NOSD, Schulautonomie – Sie beide stehen für wesentliche Anteile der SPD-Politik der letzten Jahre. Jetzt ist genau diese SPD gnadenlos abgewählt worden. Sind Ihre Konzepte daran mitschuldig?

Euler: Nein, die Konzepte sind daran nicht schuld. Daß die Bereitschaft zum Engagement bei den jungen Leuten in einer Gesellschaft, die für drei Viertel sehr viel Wohlstand geschaffen hat, abnimmt, das ist ein allgemeines Problem. Meine beiden Töchter engagieren sich zum Beispiel nicht mehr in der SPD. Die große lebt in Berlin und wählt grün und sagt: „Papa, diese Ortsvereine kannst Du doch vergessen.“ Die muß man wiederbeleben, aber nicht abschaffen. Ich fühle mich – auch wenn ich ein ganz anderes Image habe – da zum Teil auch zu Hause. Die Überzeugungs-Basis ist in der SPD noch so breit, daß man darauf etwas Neues aufbauen kann.

Scherf: Was wir hier in Bremen erleben, ist kein Einzelereignis. Die SPD hat ein ganz dramatisches Großstadtproblem...

Aber was ist mit dem hausgemachten Anteil?

Scherf: Wir sind vielleicht nicht stilprägend geworden. Zum Beispiel die Bremer Psychiatriereform. Da sind wir beiden richtig verschworen. Das finden wir überzeugend und behaupten, daß das ohne unseren Anteil gar nicht in Schwung gekommen wäre. Und heute wird das für eine grüne Bewegung gehalten. Dabei waren wir das.

Trotzdem ist das noch nicht die große gesellschaftliche Reform geworden. In einzelnen Bereichen ist es zu überregional anerkannten Reformkonzepten gekommen. Solche Erfolge müssen aufgewertet und verzahnt werden., damit diese Stadt darüber so etwas wie eine neue Identität bekommt. Und dabei müssen wir uns um unser sozialdemo-kratisches, kleinbürger-liches, Klientel, zum Teil auch um die Verlierer gesellschaftli-cher Entwicklungen kümmern. Wir müssen die wieder einbeziehen und abholen.

Das ist ein Demokratiekonzept. Und wenn wir das hinkriegen, könnte der Niedergang der Großstadt-SPD und der Großstadtkultur wieder in hoffnungsvollen Aufbau verwandelt werden. Deswegen bin ich für Rot-grün, um zu zeigen, daß wir mit unseren Leuten die Kraft dazu haben.

Euler: Da bin ich ganz einverstanden. Wenn es die jungen Leute mit viel Power in der SPD geben würde, dann würden wir beide das sofort unterstützen. Die schwierige Situation ist aber, daß wir aus der alten Verantwortung heraus jetzt den Versuch machen müssen, uns für diesen Umbruch bereitzufinden. Das machen wir mit Sicherheit nicht mehr ewig. Aber wir wollen vorher wenigstens Leute finden und heranführen, die das von uns übernehmen.

Fragen: Dirk Asendorpf, Jochen Grabler