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„Hallihallo Weserstadion!“

■ Während „Bon Jovi“ klotzte, brachten „Die Doofen“ ihm Flötentöne bei / 42.000 BremerInnen hörten am Wochenende dem Musikstreit der Giganten im und besonders vor dem Stadion zu

„Hey Butthead, weißt du noch, wie cool der Typ mal war?“ „Halt's Maul, Beavis! Der Typ war niemals cool!“ Dieser Dialog, den die MTV-Zeichentrick-Metalheads „Beavis & Butthead“ einst beim Betrachten eines „Bon Jovi“-Videos über den Bandleader Jon Bon Jovi hielten, bringt auf den Punkt, wie FreundInnen härterer Musik über den Ultra- Light-Rocker denken. Er wird von ganzem Herzen verachtet. Und wer ihn doch einmal cool fand, wird es ums Verrecken nicht zugeben.

Unvermutet tummelten sich zum ersten von zwei Weserstadionkonzerten seiner Band am letzten Freitag allerdings auch einige Gestalten mit bunten Haaren und fantasievoll zerrissenem Beinkleid vor den Stadiontoren. Die Punk-Fraktion wollte jedoch lediglich „ablachen und Pils trinken“ auf sonnenbeschienenen Osterdeichwiesen, aber „auf keinen Fall reingehen!“

Drinnen war das Durchschnittsalter deutlich höher als erwartet bei einer Band, die in Live-Mitschnitten immer mit Kuscheltieren beworfen wird. Und in Wurfnähe zur Bühne fand man dann doch ein paar Teenies in „Jovi Girl“-T-Shirts. Die zum letzten Album entbrannte Diskussion, ob der gute Jon nun mit langen oder kurzen Haaren begehrenswerter wäre, wurde nicht mehr ganz so energisch wie einst geführt. Die neue halblange Variante ohne Dauerwelle scheint ein mehr- heitsfähiger Kompromiß.

Eingeklemmt zwischen den „Bon Jovi“-Epigonen „Ugly Kid Joe“ und den „Bon Jovi“-Vorreitern „Van Halen“ hatten die Veranstalter eine weitere Vorgruppe auf die Bühne geschickt, die einem Mitglied ein Heimspiel bescherte: Wigald Boning, die witzigere Hälfte des Duos „Die Doofen“, verließ einst das heimatliche Bremen, um sich in der Fremde vom erfolglosen Hörspielkünstler zum „Premiere“-Pausenclown und schließlich zum Zugpferd der Fernsehshow „RTL Samstagnacht“ hochzuarbeiten. Er und sein Ko-Doofer Olli Dittrich – in schreiend bunten Anzügen auch von ganz hinten gut auszumachen – lockten mit ihrem traditionellen „Hallihallo, wir sind ,Die Doofen'!“ mehr Publikum als ,die schnieken „Ugly Kid Joe“ vor die Bühne. Etliche sangen mit (“Aua aua – Fuß / Aua aua – Bluterguß“), oder spendeten begeisterten Applaus, wenn Boning entsetzliche Soli auf der „japanischen Tricktrompete“ (Modell Yps oder Kauf- halle) spielte.

Gab es bei den „Doofen“ noch vereinzelte Pizzamampfer, denen die gewollte Schrecklichkeit keine Gefühlsregung abringen konnte, waren die vielen Verpflegungsstände zum Beginn des „Bon Jovi“-Auftritts wie leergefegt, und das ganze Stadion geriet aus dem Häuschen. Es hatte auch keine andere Wahl: Von rechts und links flackerten großformatige Videobilder über Leinwände, wurden Feuerwerke blindlings in den Himmel geschossen und rieseige Dekorationen im Stile heruntergekommener Gettostraßen abgerollt, deren Sinn wohl nur von eingeschworenen Fans rekonstruiert werden konnte. Obwohl sich im routiniert runtergespielten eher schmusigen als rockigen Programm ein Song wie der andere anhörte, und die Platzierung von Scheinwerfern und Knallkörpern eindeutig wichtiger war als die musikalischen Arrangements, bestanden einige Fans darauf, „wirklich nur an der Musik interessiert“ zu sein, wie die 27jährige Silvia. „Wie der aussieht, ist doch egal!“ Und überhaupt: „Sowas würden ,Nirvana' doch gar nicht hinkriegen!“ wußte ein männlicher Fan, ebenfalls deutlich aus der Pubertät heraus. Trotzdem taten einige per „Nirvana“-T-Shirt kund, daß sie durchaus auch der ruppigeren Seite des Rock'n'Roll etwas abgewinnen konnten.

Spricht man im Zusammenhang mit „Bon Jovi“ von Musik, meint man meistens den Gitarristen Richie Sambora. Ähnlich wie Vorgruppen-Gitarrero Eddie Van Halen mit mehr Talent als Geschmack gesegnet, wäre er in kleinerem Konzertrahmen wahrscheinlich der eigentliche Charismatiker der Band. Aber auf einer Stadionbühne fällt ein hektischer Hampelmann mit fiepsiger Live-Stimme wie Jon Bon Jovi halt eher auf. Schon die Anwesenheit des Gast-Gitarristen Little Steven mußte für richtige Rock-Fans erschütternd gewirkt haben. Schließlich hatte der in den 8Oern als Solokünstler und Mitglied von Bruce Springsteens „E. Street Band“ zwar keinen innovativen, aber immerhin ernstzunehmenden Rock gespielt.

Nach gut zweistündigem Hit- Potpourri war der Spuk vorbei. Sanft wurde das Flutlicht angeknipst, während die letzten Feuerzeuge und Wunderkerzen erlosch- en, die im balladenreichen Programm im Dauereinsatz gewesen waren und wohl für so manchen Krampf im Arm gesorgt hatten. Draußen konnten die herausströ- menden Massen dann die T-Shirts, die drinnen DM 40 kosten sollten, für einen Zehner schwarz erstehen. Die Cleveren ließen sich darauf aber nicht ein, denn ein paar Ecken weiter gab's sie schon für fünf Mark.

Andreas Neuenkirchen

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