: „Selbst die Dinosaurier haben sie überlebt“
■ Ulmar Grafe, Tropenökologe und Amphibienexperte vom Zoologischen Institut der Universität Würzburg, fürchtet, daß die Tendenz nicht mehr zu stoppen ist
taz: Herr Grafe, wird die Zerstörung der Ozonschicht das Aus für die Frösche bedeuten?
Ulmar Grafe: Man muß das differenziert sehen, es gibt einige Amphibienarten, von denen man genau weiß, daß die UV-Strahlung zu einem Rückgang der Populationen geführt hat. Insgesamt sind die Ursachen für das Verschwinden der Frösche aber schwer einzuschätzen, weil man sehr wenige Daten über die Populationsdynamik bei Amphibien hat. Dazu gehören langjährige Studien, von denen es aber nur sehr wenige gibt. Wenn man einen Einbruch in die Population findet, kann das auch andere, vielleicht sogar natürliche Ursachen haben. Was die Forscher erstaunt hat und warum die ganze UV-Problematik jetzt hochkommt, ist der weltweite Einbruch, der so plötzlich stattgefunden hat. Mit Populationszyklen ist das nicht mehr zu erklären.
Könnten da nicht auch andere Faktoren wie zum Beispiel die Zerstörung der Biotope, Pestizide oder der saure Regen eine Rolle spielen?
Global gesehen, ist die Habitatzerstörung sicherlich der wichtigste Auslöser. Daneben gibt es aber auch andere Beobachtungen. In brasilianischen Naturschutzgebieten sind zum Beispiel einige Arten fast vollständig verschwunden. Diese Abnahme kann nicht mit einer Habitatzerstörung erklärt werden. Auch aus Australien wird ein großer Rückgang gemeldet. Das Ozonloch über der Antarktis könnte die Erklärung dafür sein.
Viele Amphibien leben während eines Lebenszyklus in sehr unterschiedlichen Biotopen. In welchem Entwicklungsstadium sind sie durch UV-Strahlung am stärksten gefährdet?
Es scheint so, daß die UV-Strahlen hauptsächlich auf die Eier einwirken, und zwar bei solchen Arten, die den Laich im Oberflächenbereich des Wassers ablegen. Dort sind sie der UV-Strahlung dann schutzlos ausgesetzt. Es ist ja seit langem bekannt, daß UV-Strahlen beim Menschen das Erbgut verändern und Hautkrebs auslösen können. Der Mensch und auch Tiere sind deshalb mit einem Reparatursystem ausgestattet. Das sind Enzyme, die die Erbgutveränderung wieder rückgängig machen. Wird aber die UV-Strahlung zu intensiv, dann ist das Reparatursystem überlastet und kann die Schäden nicht mehr ausgleichen. Die Leistungsfähigkeit des Reparatursystems entscheidet dann darüber, ob eine Art mit der erhöhten UV- Strahlung fertig wird oder nicht.
Heißt das, einige Arten sind durch UV-Strahlung stärker gefährdet als andere?
Auf jeden Fall. Gewisse Arten können vielleicht eher mit dieser Strahlenbelastung zu Rande kommen, weil sie schon entsprechend angepaßt sind. Erstaunlich ist aber, daß es Amphibien schon seit über hundert Millionen Jahre gibt. Die haben alle möglichen Umweltveränderungen mitgemacht, selbst die Dinosaurier haben sie überlebt. Insofern ist es erschreckend, daß die Zahlen jetzt so rapide zurückgehen.
Wird der Trend sich fortsetzen?
Leider ist das zu erwarten, vor allem durch die weitere Zerstörung der natürlichen Habitate. Was dabei auch bedacht werden sollte: Amphibien sind nicht nur ein wichtiger Bestandteil im Ökosystem, sondern auch ein kulturelles Gut. Jedes Land hat seine einheimische Fauna. Für mich ist das auch ein ästhetischer Verlust, wenn es zu einer Abnahme kommt. Ich denke da zum Beispiel an eine Art in Australien, wo die Frösche ihre Jungen im Magen ausbrüten. Diese Art ist seit 1979 nicht mehr gesichtet worden. Das sind Verluste, denen kann man schwer einen Wert geben. Sie müssen eher wie ein Kunstwerk betrachtet werden. Das hat nicht unbedingt einen ökologischen oder ökonomischen Wert, was da unwiederbringlich weg ist. Interview: Wolfgang Löhr
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