: Im Haus des Humanismus
Das Ende des Museums: Eine Ausstellung und ein Symposium in Barcelona ■ Von Klaus Englert
„Museen funktionieren als Monumente gegenüber der Fragilität von Kulturen, gegenüber dem Niedergang bewahrender Einrichtungen und Adelshäuser, gegenüber dem Zusammenbruch der Rituale und der Aushöhlung der Mythen.“ So beschrieb der Historiker Stephen Greenblatt den Gründungsakt des Museums, die Geburt einer sehr modernen Einrichtung, die notwendig wurde, als die Kunstwerke allmählich aus dem Zugriff der Kirche befreit und unter die Obhut des Staates gestellt wurden. Selbst für Privatsammlungen läßt sich Greenblatt als Zeuge anführen – etwa für Karl Ernst Osthaus' Gründung seines Hagener Museum Folkwang, das zur Jahrhundertwende als „westfälische Ruhmeshalle“ geplant war, um, neben der Darmstädter Mathildenhöhe, das erste deutsche Zentrum moderner Kunst zu werden.
Gemeinsamer Nenner dieser Museen ist ihr Grad an Entfremdung und Desakralisierung. Der Künstler Christian Boltanski hat in der Ausstellung „The Ends of the Museum“, die noch bis zum 4. Juni in der Fundació Antoni Tàpies, Barcelona, zu sehen ist, versucht, diese These in seiner Sprache zu verifizieren. Für seine Installation „Inventory of the Man from Barcelona“ sammelte er zwischen 1973 und 1995 alltägliche Gebrauchsgegenstände, um sie nun, fein säuberlich in Vitrinen geordnet, dem künstlichen und hygienischen Ambiente des Museums zu überantworten. Aus den vergänglichen Dingen sind im Nu Kunstwerke für die Ewigkeit geworden.
Man kann die Verwandlung der Dinge zu Kunstwerken aber auch diskursiv angehen. Werner Hamacher (John Hopkins University, Baltimore; FU Berlin) zeigte dies während eines Symposiums in eben dieser Fundació Antoni Tàpies, indem er darauf hinwies, daß die Desakralisierung der Dinge mit der Autonomisierung der Kunstwerke zusammenfiel. Die Entlassung der Gegenstände aus ihren geheiligten Bezirken bereiteten den Boden für das weltliche Museum: deswegen die unendliche Einsamkeit der Madonnenfiguren in den Museen, seitdem sie nicht mehr – wie Benjamin und Heidegger übereinstimmend feststellten – in der sakralen Aura der Kirche ihr Lebenselixier finden. Seitdem sind sie von einem nicht mehr gutzumachenden Verlust betroffen, da ihr Wesen nun auf einer reinen Funktionalität beruht: nämlich ausgestellt zu werden wie alle anderen musealen Kunstwerke auch.
Manuel Borja-Villel, Direktor der Fundació Antoni Tàpies, wies darauf hin, daß das Herausreißen der Kunstwerke aus den Arbeits- und Lebensbedingungen, aus ihrer je spezifischen Zeitlichkeit ihre Fetischisierung befördert. Gerade deswegen entspringt das Museum nicht nur einer Krise, es ist zugleich Symptom einer Krise: „Dies kann man besonders an der modernen Kunst beobachten, die dem dialektischen Verhältnis von Selbstbestätigung und Selbstzerstörung ein Ende bereitet. Treffendes Beispiel hierfür ist die Fluxus-Bewegung, die mit Kategorien des Museums und mit der Autorität brechen wollte. Doch die Fluxus-Bewegung starb an ihrem Erfolg. Die Fluxus-Objekte verwandelten sich in Objekte für die Sammler, in Fetischobjekte und wanderten ins Museum.“ Die Krise des Museums verschärft sich um so mehr, als seine strukturellen Bedingungen, nämlich das „System der Anhäufung, der Klassifikation und der Macht“, unangetastet bleiben. Weil nämlich, so Thomas Keenan (Princeton University, New Jersey), das Museum weiterhin als Archiv für das Verlorene oder durch Verlust Bedrohte funktioniert, gleichzeitig aber als ein Mechanismus, der das Vergangene dem jeweiligen Erfahrungshorizont der Besucher zugänglich macht.
Borja-Villel These, daß „im Museum das Kunstwerk jedes Moment von Spannung und Unruhe verliert“, gilt auch für Kunstwerke, die aus dem historischen und geographischen Kontext einer fremden Kultur gerissen wurden, um nun für den westlichen Betrachter als Zeugen einer exotischen Kultur aufzutreten. Für Gyan Prakash, Historiker an der Princeton University, besteht das Problem nicht bloß in der „Verkunstung“ (Adorno) von Objekten, die einst unmittelbar profane oder sakrale Bedeutung hatten, sondern darin, daß sie in den Vitrinen unserer Kultur- Mausoleen Zeugnis von einer kulturellen Einheit abgeben sollen: „Exotische Artefakte werden ausgestellt als authentische Überbleibsel von Mythen, Praktiken, Werten und Organisationsformen, deren Zweck darin besteht, die Ganzheit und Integrität fremder Kulturen zu demonstrieren.“
Als Beispiel dafür führt Prakash das Pariser Musée de l'homme an. Hier zeige sich deutlich, daß die Auswahl der Ausstellungsstücke die Optik der westlichen Kuratoren verrät, denen es keineswegs darum geht, die Mechanismen ihrer Auswahl durchsichtig zu machen. Unhinterfragt bleibt dabei die Grundlage des westlichen ethnologischen Museums: das Ideologem eines allumfassenden Humanismus. „Das spezifisch Westliche an derartigen Ausstellungen ist nicht der Westen selbst, es sind die Artefakte und Objekte anderer Kulturen. Der Westen ist für die Art der Ausstellungskriterien verantwortlich. Die vorherrschende Ausstellungsform und die Perspektive, durch die wir kulturelle Unterschiede wahrnehmen, können nur überwunden werden, wenn wir den Begriff eines gemeinsamen Humanismus in Frage stellen.“
Dafür gelte es, eine der grundlegenden Strategien der westlichen Kulturen respektive der ethnologischen Museen im Umgang mit fremden Kulturen zu problematisieren: die Aneignung („appropriation“) von Andersheit. Statt einfach zur Respektierung fremder Kulturen zu führen, könnten derartige Ausstellungen irreduzible kulturelle Differenzen freilegen; könnten plötzlich zu Krisen der Wahrnehmungsschemata führen; könnten durch die Erfahrung der Andersheit eine ganze Geschichte von Konflikten, Interaktionen und Widerständen manifest machen, die ebensowenig von westlichen Denkkategorien eingeordnet werden können wie die von Borges zitierte, bewundernswert enigmatische „chinesische Enzyklopädie“. „Es kann durchaus Werke geben, die eine Vorstellung oder eine Kultur erzeugen, für die der Westen keinerlei Ausdrücke besitzt. Nur wenn man davon ausgeht, daß die Unterschiede zwischen den Kulturen keinen gemeinsamen Nenner haben, daß man sie nicht einmal ermessen kann, erst dann kann man sich eine Vorstellung von anderen Kulturen machen.“
Auch Borja-Villel plädiert für einen grundlegenden Wandel des Umgangs mit Kunstwerken. Er fordert das Museum als kreatives Zentrum – in dem sich Aufbau, Zerstörung und Wiederaufbau beständig ablösen – und trifft sich darin mit Andrew Ross (New York University): „Wenn es einen verändernden Faktor gibt, dann jenen, der bewirkt, daß Besucher in aktive Teilnehmer, in Agenten verwandelt werden, die die Umgebung verändern können. Gleichgültig, ob es sich hier um eine pädagogische Adressierung handelt – oder um eine Aufklärung, die ein Prinzip der Selbstregulierung oder Selbstzivilisierung darstellt – oder um Entertainment, das nichts anderes ist als die Verführung des Zuschauers durch Spektakel.“
Von der Transformation des passiven Betrachters ließ sich auch Friedrich Kittler (Humboldt Universität Berlin) leiten. Allerdings dachte er mehr an den künftigen Benutzer von Internet, an den Gestalter virtueller Räume und weniger an das in Ästhetik-Diskursen gehätschelte aktive und kreative Subjekt, an die zunehmende Umwandlung der musealen Ausstellungsflächen in digitale Archive. Daß dadurch strukturelle Veränderungen unvermeidlich sind, scheint für Kittler schon heute eine unwiderrufbare Tatsache zu sein: denn die gesammelten Kunstwerke treten zunehmend hinter die globale Informationsvernetzung zurück; schließlich aber entgehen die Benutzer, im Bewußtsein der allgemeinen Verfügbarkeit der Daten, nicht der Gefahr, in neuen Allmachtsphantasien zu schwelgen.
Bei allem Gerede vom Ende des Museums wird vergessen, daß es eine Zukunft nach dem Ende hat. Eine Zukunft, die das Museum als Phänomen der Krise eher bestätigt als widerlegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen