: Pensionäre liegen Berlin auf der Tasche
■ Landesrechnungshof malt düsteres Bild der Finanzlage / Jährlich 1,4 Milliarden für die Rente der Landesbediensteten
Für den Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) fand der Präsident des Landesrechnungshofes, Horst Grysczyk, gestern Worte des Bedauerns. Ein Defizit von 850 Millionen Mark – wie es seine Behörde für das laufende Haushaltsjahr errechnet hatte – auszugleichen sei eine „fast unlösbare Aufgabe“. Dennoch müsse umgehend gehandelt und müßten Mittel sofort gesperrt werden, meinte Grysczyk bei der Vorstellung des Jahresberichts 1995.
Darin malt der Landesrechnungshof ein düsteres Bild der Finanzlage des Landes. Allen voran die Schulden kletterten von 16,9 (1989) auf 42,8 Milliarden (1995) – Tendenz weiter steigend. Im selben Zeitraum legten Zinsen und Schuldentilgung von 2,4 Milliarden auf knapp 7 Milliarden zu. Fast 30 Prozent der Gesamteinnahmen im Landeshaushalt, so rechnete Grysczyk vor, müßten heute schon für den Schuldendienst aufgebracht werden. Angesichts der dramatischen Situation mahnte er noch in diesem Jahr eine Finanzplanung für 1995 bis 1999 an, die als Grundlage für die Koalitionsgegespräche der Parteien nach den Abgeordnetenhauswahlen vom 22. Oktober dienen müsse. Dem Senat warf er vor, bislang kein Handlungskonzept vorgelegt zu haben und die Sparmaßnahmen der Stadt Berlin nach der Länderfusion aufzubürden.
In bislang ungeahntem Umfang werden in Zukunft die steigenden Ausgaben für die Pensionen der Beamten, Richter, Angstellten und Arbeiter den Haushalt belasten. Von 1960 bis heute verdoppelte sich die Zahl der Landesbediensteten auf knapp 200.000. Dabei stiegen die Versorgungsausgaben im selben Zeitraum um das Siebenfache auf 1,4 Milliarden Mark und werden voraussichtlich noch vor 2005 jährlich um 450 Millionen zulegen. Grysczyk forderte den Senat auf, restriktiver mit den Frühpensionierungen umzugehen und insbesondere die dadurch frei gewordenenen Stellen zu streichen, statt sie – wie in vielen Fällen noch üblich – wieder neu zu besetzen. Insgesamt könnten bis zu 48.000 Stellen gekürzt werden, heißt es in dem Bericht. Grysczyk selbst erinnerte daran, daß das Deutsche Institut für Wirtschaft vor geraumer Zeit sogar die Zahl von 60.000 Stellen genannt hatte.
Bei den Beamten ist die Ausschöpfung der vollen Berufszeit längst kein Thema mehr. Nicht einmal ein Drittel geht mit dem 65. Lebenjahr in Rente. 20 Prozent steigen sogar vor dem 49. Lebensjahr aus. Besonders gerne wird die Frühpensionierung von Lehrern, Polizisten und Justizvollzugsbeamten in Anspruch genommen.
Wie jedes Jahr wartete der Landesrechnungshof mit einer Reihe spektakulärer Fälle auf. Den Vogel schoß die Senatsbauverwaltung ab, die im Botanischen Garten ein Mehrzweckhaus für 5 Millionen Mark bauen ließ. Von 1993 bis heute wurden 16.500 Mark an Miete eingenommen. Ingesamt konnte der Rechnungshof, dessen Arbeit das Land 24 Millionen kostete, für Einsparungen von rund 150 Millionen Mark sorgen. Moniert worden waren allerdings Behördenschlampereien in Höhe von 350 Millionen Mark. Severin Weiland
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