Nach fünfzig Jahren ein Gedenktag

Heute beraten die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen über die Einführung eines Holocaust-Gedenktages / Scharping, Fischer und Gysi favorisieren den 27. Januar  ■ Von Anita Kugler

Berlin (taz) – Zwischen den Bundestagsdebatten zum Thema Vertreibung und Bafög werden heute um 15 Uhr die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien den Plenarsaal verlassen. Vermutlich nur kurz, denn im Prinzip ist man sich so einig wie schon lange nicht mehr. Sogar mit der PDS. Bei dem Gespräch geht es um die Möglichkeit eines fraktionsübergreifenden Antrags zur Einrichtung eines Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus. Die Einladung an die Fraktionsvorsitzenden erfolgte durch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Für alle Beteiligten ist die Konsensfindung oberstes Gebot, parteipolitische Profilierung verboten. Um den Weg für einen gemeinsamen Beschlußantrag für den Bundestag frei zu machen, haben sowohl die Grünen als auch die PDS ihre eigenen Anträge von Anfang des Jahres bzw. Mitte März schon zurückgezogen. Nachdem Rita Süssmuth sich dann Mitte Mai in Israel ebenfalls für einen Gedenktag aussprach und auch Bundeskanzler Kohl die „Anregung für solch einen Tag überlegenswert“ findet, stehen die Chancen gut, daß tatsächlich 50 Jahre nach Kriegsende der Bundestag einen nationalen Erinnerungstag beschließt. Konsens ist ebenfalls, daß dieser Tag kein zusätzlicher arbeitsfreier „Feiertag“ sein soll. Nicht eindeutig klar ist hingegen die Frage, welcher Opfer gedacht werden soll. Ob unter den Arbeitstiteln „Opfer der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus“ (Süssmuth) oder „Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ (Grüne) auch die Vertriebenen oder die deutschen Opfer der alliierten Bombardements zu summieren sind, könnte vor allem bei den Abgeordneten von CDU und CSU zu einem ähnlichen Streit führen wie dem um die Zentrale Gedenkstätte „Neue Wache“. Die Fraktionsvorsitzenden sind deshalb interessiert, durch einen gemeinsamen Terminvorschlag die Weichen in Richtung Holocaust-Gedenktag zu stellen, ohne die nichtjüdischen Opfer der Euthanasie wie Roma, Sinti und Homosexuelle auszugrenzen.

Im Gespräch ist deshalb der 27. Januar, der Tag, an dem vor 50 Jahren das Symbol für alle Konzentrationslager – das Vernichtungslager Auschwitz – befreit worden ist. Diesen Termin hatte Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, neben zwei anderen Daten (20. Januar/Wannseekonferenz und 19. April/Beginn des Aufstandes im Warschauer Ghetto 1943) ins Gespräch gebracht. Den 27. Januar favorisieren Scharping, Fischer und auch Gysi. Keine Chancen werden bei den Fraktionsvorsitzenden „wegen der Mehrfachbedeutung“, (so ein SPD-Sprecher) die ebenfalls im Vorfeld genannten Daten 8. Mai und 9. November haben. Für den 9. November votierte bereits vor zwei Jahren die PDS und wurde im Bundestag gnadenlos abgeschmettert.

Bei aller prinzipiellen Bereitschaft der Parteien und wahrscheinlich auch des Bundestags, einen Gedenktag zu bestimmen: Unklar wird bleiben, wie er begangen werden soll, damit er sich deutlich vom Tag der Behinderten oder dem Weltnichtrauchertag unterscheidet. Kerstin Müller, Initiatorin bei Bündnis 90/Die Grünen, wünscht sich diesen Erinnerungstag vor allem für die Jugend. Sie denkt an Veranstaltungen in den Gedenkstätten und regional spezifische Ausstellungen in den Kommunen.