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Neuerdings lachende Landschaften

„Mit kleinen Mitteln Sprengstoff erzeugen“ – so hieß die zentrale Vorgehensweise des Fluxus. Eine Ausstellung in Gera zeigt jetzt die Spuren der kulturgewordenen Kultverhinderungskunst: „Fluxus in Deutschland 1962–1994“  ■ Von Helmut Höge

Das, was in der Ostzone 1945 von sowjetischen Kulturoffizieren versucht wurde: eine gewisse Umerziehung der Deutschen mit den überwältigenden Mitteln der Kunst, versuchten einige Amerikaner Anfang der sechziger Jahre auch in Westdeutschland – mit Fluxus. „Die Deutschen müssen leiden. Sie leiden gern. Ihnen fehlt die Ironie“, so sagte es der aus New York herübergekommene Koreaner Nam June Paik in einem Interview mit einer deutschen Zeitung 1963. Dort in New York befand sich in den fünfziger Jahren der von Marcel Duchamp inspirierte neodadaistische Ausgangspunkt: Einmal in der „New School for Social Research“, die Klasse für experimentelle Komposition von John Cage, und zum anderen beim „Living Theatre“.

Die ersten Fluxus-Festivals fanden in Wiesbaden statt. Dort, beim US-Air-Force-Hauptquartier, war der in Litauen geborene Amerikaner George Maciunas stationiert gewesen. Auch der heute in Köln lebende Al Hansen kam als Besatzungssoldat nach Deutschland. In der Folgezeit entstand, vornehmlich im Rheinland, ein Netzwerk von Galerien und Auftrittsmöglichkeiten, an denen dann auch zunehmend deutsche Künstler beteiligt waren: Wolf Vostell, Tomas Schmit, Joseph Beuys.

„Mit kleinen Mitteln Sprengkraft erzeugen!“ so hieß die zentrale Vorgehensweise von Fluxus. Wobei dessen Werkcharakter nicht nur sekundär war, sondern sogar abgelehnt wurde. Paik bezeichnete es zum Beispiel als ein „Verbrechen“, das Cage seine Auftritte auf Tonbänder speicherte. Noch pointierter drückte es der Wiener Monsignore Otto Mauer aus, der auf der ersten Beuys-Ausstellung in Mönchengladbach 1967 eine Rede hielt: „Diese Fluktuation hindert, daß irgend etwas verkultet wird, daß etwas verabsolutiert wird, sie verhindert den Triumphalismus.“

Mittlerweile sind die meisten, so sie noch leben, zu Ehren gekommen. Für die Geraer Ausstellung über „Fluxus in Deutschland 1962 – 1994“ wurden akribisch ihre hinterlassenen Spuren zusammengetragen: Objekte (zumeist mit Fundsstücken gefüllte Kästen oder Koffer), Partituren, Plakate, Einladungen zu den „Events“, Zeitschriften, Kataloge etc. „Zum Eintritt berechtigt sind nur und alle, die eine leere Yoghurtflasche mitbringen“, steht zum Beispiel auf einer Einladungskarte aus dem Jahr 1965.

Vostell dirigierte einmal die brachiale „Zerstörung eines Musikautomaten“. Für Gera konstruierte er nun ein stummes „Fluxus- Piano-Lituania“, das im wesentlichen aus einem Klavier mit sieben Koffern und drei Einkaufswagen besteht. Real bespielbar ist die von Joe Jones gebaute Musikautomatik: Durch Einschalten von Elektromotoren wirbeln Klöppel auf Instrumente. Beim Ausschalten kehrt wieder Ruhe ein.

Viele Fluxus-Objekte verlangen geradezu, daß man damit spielt. Aber nirgendwo stehen zum Beispiel Wasser- und Farbeimer oder Mehltüten, mit denen Nam June Paik früher gerne seine Fluxus- „Events“ im sauberen Rheinland würzte. Noch die flüchtigste Performance-Spur wirkt in den Ausstellungshallen sauber arrangiert – die Wände des alten Bahnpostamts wurden sogar extra für den Fluxus frisch geweißt. Bei den eingeglasten Eat-Art-Objekten (Banane, Wurst und Gewürze) von Dieter Roth, die zum Teil aus der Sammlung des schleswig-holsteinischen Agrariers und Ex-Galeristen Jes Petersen stammen, der Haus und Hof für die Fluxus-Kunst hingab, stellt sich deswegen selbst dem Betrachter die kunstkonservatorische Frage: Wie kann man sie vor dem Wurmfraß schützen?

An den Fluxus-Aktionen waren manchmal auch lebende Tiere, Kühe und Pferde, und tote Hasen beteiligt, es wurde Lärm und Dreck gemacht, die Polizei schritt ein, es kam zu Prügeleien, es wurde die ganze Nacht lang diskutiert und gesoffen. Die Ausstellungsexponate können davon kaum noch was vermitteln. Am ehesten gelingt dies noch mit den Auftritten der Künstler selbst. Dazu müssen aber die mittlerweile über die halbe Welt verstreut lebenden Fluxus- Artisten teuer eingeflogen werden, und die wollen dann natürlich auch anständig untergebracht sein (die meisten sind bereits im Rentenalter, Maciunas und Filiou sogar schon tot).

Was diese Anarcho-Amis „Fluxus“ nannten, hieß im „Ostblock“ nicht weniger amerikanisch „Performance-Kunst“ beziehungsweise „Mail-Art“ und war kulturpolitisch eher peripher. Dafür um so billiger. Auf dem von der KP Polens finanzierten Fluxus-Festival 1987 in Warschau bekamen die beteiligten Knstlergruppen aus Polen („Moscow“) und Ostberlin („Feeling B“) nicht einmal ein Mitwirkungshonorar.

Der derzeit von der Kunstsammlung der Stadt Gera gezeigten Schau ging eine Einzelausstellung des Leverkusener Fluxus- Künstlers Wolf Vostell voraus. Vostell hat es inzwischen zu einem Museum im spanischen Malpartida de Caceres gebracht. Dort wohnt im Sommer auch der Neu- Pankower Galerist Michael Wewerka, der wiederum die Geraer Kunstsammlungs-Leiterin Frau Rüdiger für den West-„Fluxus“ begeistern konnte – wodurch diverse „Kontakte“, unter anderem zum „Fluxus“-Sammler René Block, entstanden: „Das Thema war also bei uns aktuell“, wie man in Gera mitteilte.

In der Westberliner „Galerie Block“ wurden bereits 1964 die ersten Fluxus-„Events“ gezeigt, damals gehörte auch der ehemalige Sturzkampfflieger Joseph Beuys noch zu diesem „international non-movement“. Später war Block dann bis 1992 Leiter für bildende Kunst beim Deutschen Akademischen Austauschdienst. Von dort wechselte er zum Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen.

Das ifa pflegt die Exponate für seine Ausstellungen „zusammenzukaufen“, weil diese mitunter zehn Jahre lang im Ausland „touren“. Nach der Wende kooptierte das Institut einen Teil des DDR- „Zentrums für Kunstausstellungen“, was mit einem Ausbau der Osteuropakontakte einherging. Den wiederum sollte der neue Ausstellungsleiter René Block forcieren. Wieviel das ifa dann genau für die in Gera beginnende Fluxus-Wanderausstellung zahlte, war nicht herauszubekommen, nur so viel: „Sie war sehr teuer, das schon!“ Hinzu kommt, daß die Stuttgarter ifa-Leitung kurz vor der Eröffnung bekanntgab, sie würde sich „mit Wirkung vom 31. 5. 95“ von René Block trennen – „wegen inhaltlich unterschiedlicher Auffassungen“.

In Gera scheint man sich auf alle Fälle über den für die Stadt nahezu kostenlosen „Fluxus“ zu freuen, auch über den gut in der Hand liegenden Katalog: „Es ist erfrischend, so was zu sehen!“ Zugleich korrespondiert die Ausstellung in der Orangerie und im Bahnpostamt mit dem zur Städtischen Sammlung gehörenden „Otto- Dix-Haus“ – insofern Dix einst zusammen mit dem Nachkriegs-Fluxus „Dada“ eine Abkehr vom „Expressionismus“ vollzogen hatte. Außerdem stellten Bahn und Post das leerstehende und zum Verkauf bestimmte Gebäude für die Ausstellung mietfrei zur Verfügung. Das dreistöckige Haus im späten Bauhausstil gefiel Fluxus-Künstlern wie -Interessierten so gut, daß sie es auch gerne fürderhin nutzen würden: „Es wäre das einzige Kunsthaus mit Gleisanschluß!“ Ein Fluxus-Zug wird übrigens von dort nach Vilnius aufbrechen – zu Ehren des 1931 in Litauen geborenen George Maciunas.

Die noch quicklebendigen Fluxus-Kader, Al Hansen, Emmett Williams, Daniel Spoerri, Ben Patterson und Ann Noel, kamen indes zur Geraer Eröffnung direktemang aus Lodz, wo der DAAD- Stipendiat Ryszard Vasko sie in sein „Museum moderner Kunst“ zur Feier des 70. Geburtstags von Emmett Williams geladen hatte. Davor hatten sie noch fix Fluxus- „Events“ in Minneapolis und Bremen abgeleistet: „Es stimmt, für ein non-movement sind wir ganz schön mobil“, meinte dann auch Emmett Williams, der in Gera zwölf Punkt-Portraits von Fluxuskünstlern aufhängte.

Neben aller dem Thema 32 Jahre „Fluxus in Deutschland“ geschuldeten Aufbereitung und Historisierung wird mit einigen Ausstellungsbeiträgen auch der alte Kommunikationsanspruch der Fluxus-Vermittler „to perform whenever they find themselves in a group“ einzulösen versucht. So mußten bei Ben Pattersons Eröff

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nungsoper Publikum und Ausstellungsmacher als Mitwirkende auf die Bühne und zum Beispiel mangels einer „Carmen“-Rose ein Cocktail-Glas schwenken – was einige als „Gegenwartsbezug“ durchgehen ließen, andere jedoch als überholten „Mitmachzwang“ aus den Sechzigern geringschätzten. Man könnte auch von „Fluxus- Geschichte live erleben“ sprechen, wie es ein Privatradio-Moderator tat. Dazu würde dann auch die Installation von Takako Saito im Bahnpostgebäude gehören: Vier Stühle und ein Tisch mit dem Schild: „Wenn du Kaffee trinken willst, mache Kaffee selbst und lege den Zettel auf den Tisch. Wenn jemand kommt, trinke mit ihm. Wenn niemand kommt, trinke ruhig allein mit dem Zettel“. Der Künstler stellte dafür extra Plastiktassen, Wasserkanister, Tauchsieder und Kaffee bereit: als situationsbezogenen Kunstgriff auf frühe sozialistische Versorgungsengpässe? – „Zu spät“, meinten einige, die sich noch an die Fluxus-Aktion von Ay-O Iijima in Warschau 1987 erinnern konnten, wo der Minimalist zehn Minuten lang allerhand polnische „Waren des täglichen Bedarfs“ durch ein fünfmarkstückgroßes Loch in einer vor dem Publikum aufgestellten Holzwand fallen ließ. Um an diese Gegenstände – Würstchen, Zahnbürste, Murmeln, Nagelfeile, Erbsen etc. – heranzukommen, mußte der Künstler tagelang einkaufen und für die Würstchen zum Beispiel erst von einer Kundin beim Schlachter Bezugskarten eintauschen. Dafür wurde dann aber auch fast jedes durchs Loch gequetschte Objekt vom Publikum mit Lachen und anerkennendem Gemurmel quittiert.

Der Fluxus ist vor allem ein „Ereignis“, seine Exponate und Partituren bloß „Abfall“. Die schwäbische Kunstkritikerin Ilse Botsch hält Fluxus „weniger für eine Kunstrichtung als ein zwischen Kunst und Leben sich auftuendes ,Feld-Phänomen‘“, das sich einst vornehmlich in westdeutschen Mittelstädten wie Wiesbaden und Wuppertal entlud, und nun in Gera als eine „lange Geschichte mit vielen Knoten“ präsentiert wird: „Damit auch den Menschen in den fünf neuen Ländern bei der Arbeit am Kunstbegriff das Lachen nicht vergeht.“

Nötig hätten sie es: Gerade erklärte zum Beispiel der aus München stammende Direktor des Deutschen Historischen Museums, Christoph Stölzl, den Ostberlinern ihre Gauck-Verknotungen mit einem vermeintlichen Zitat des „68er-Philosophen“ Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen Deutschland!“ – und demnach in der DDR also auch nichts zu lachen. Das ist dort erst jetzt, mit der Wiedervereinigung, möglich geworden. Vielleicht ist die allzu teure ifa-Aktion in Gera ein erstes „Auflach Ost“-Projekt. Eventuell fällt dabei im Spätsommer sogar für Vilnius und Istanbul, wo die Ausstellung anschließend hinkommt, noch ein Schmunzeln ab.

„Fluxus in Deutschland 1962 – 1994“ bis 25. 6. in Gera, Kunstsammlung Orangerie, Bahnpostgebäude. Katalog: 48 DM

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