: Levi Strauss bietet als erster großer Kleidungshersteller in den USA per Computer maßgeschneiderte Hosen an. Die individualisierte Massenfertigung, sagen Industrie-Experten, wird sehr bald die gesamte Branche revolutionieren – und nicht nur die Aus New York Ute Thon
Mein digitalisierter Traumkörper
Manche Revolutionen kommen ganz leise. Diesmal findet sie im Hinterzimmer eines Bekleidungsgeschäfts statt. Nicht in irgendeinem Laden, sondern im original Levi's Strauss Jeans Store, Third Avenue/ Ecke 84. Straße in Manhattan – dem Hohetempel der Denim-Anbeter. An den Wänden stapeln sich fünf Meter hoch die Kultobjekte – Jeans, stonewashed blue, schwarz, weiß, beige, oliv, braun oder grün. Noch sprechen die Kunden von diesen Hosen wie Autofans über Sportwagentypen: die 505er sei spießig, die neue „hüftumarmende“ 560er echt cool, doch die 501er bleibt das heißeste Stück. Das soll sich bald ändern. Denn Levi's testet eine Neuheit, die die Zukunft der Jeans entscheidend verändern wird: das „Personal Pair“-Programm.
Unter dem geschützten Begriff „Persönliches Paar“ (Jeans) führt der weltgrößte Jeanshersteller die robotergeschneiderte Maßhose ein – ein Ereignis, das selbst der trendresistenten New York Times einen Bericht auf Seite eins wert war: „Die digitale Blue Jeans führt Daten und Beine zum maßgeschneiderten Sitz“, titelte das Bltt im vergangenen November. Und auch die FAZ sieht in der maßgeschneiderten Jeans schon „den Anbruch einer neuen Ära“. Das neue Fertigungsprinzip ist ebenso simpel wie genial: Wie beim klassischen Schneider wird der Jeanskunde zunächst vermessen. Die Zuschneide- und Näharbeit erfolgt dann jedoch nicht mehr von Hand, sondern wird von Industrierobotern besorgt. Das verringert die Kosten und macht die maßgeschneiderte Hose zur erschwinglichen Massenware.
Zwar ist der Jeans-Multi aus San Francisco nicht die erste Bekleidungsfirma, die mit individueller Massenfertigung experimentiert, doch jetzt steigt erstmals ein weltbekanntes Massenprodukt in die neue Technik ein. Marktführer Levi's verkaufte letztes Jahr Jeans im Wert von sechs Milliarden Dollar. „Was Levi's da macht, ist wirklich ein Meilenstein für die neue industrielle Revolution“, bestätigt auch US-Wirtschaftsexperte B. Joseph Pine (siehe Interview).
Im Levi's-Tempel in New York gibt man sich derweil ganz unrevolutionär. „Laß dir dein persönliches Paar Jeans anfertigen“, verkündet hinten im Laden ein schlichtes Schild. Und etwas kleiner darunter: „Das perfekte Geschenk zum Muttertag“. Denn noch gibt es das maßgeschneiderte Beinkleid nur für Frauen. Laut Marktforschung haben Frauen mit ihren kurvenreicheren Körpern nämlich mehr Schwierigkeiten mit der Jeans-Paßform als Männer – vielleicht ein Grund dafür, daß Frauen weniger Levi's-Jeans kaufen als Männer. 1993 wurde der Marktführer von Lee im Bereich Frauenjeans sogar auf den zweiten Platz verwiesen.
Inzwischen zeigten aber auch schon viele Männer Interesse an der maßgeschneiderten Jeans, sagt „Personal Pair“-Beraterin Tammy. Sie soll mir im New Yorker Store zu meiner ersten maßgemachten Jeans verhelfen. Nicht daß ich bisher große Probleme beim Hosenkauf gehabt hätte, doch wer will schon eine Weltrevolution verpassen. Die Prozedur verläuft undramatisch, geradezu enttäuschend banal. Mit einem Maßband mißt Tammy meinen Taillen- und Hüftumfang, dann schickt sie mich in die Umziehkabine und reicht mir Musterjeans.
Die erste Jeans paßt leidlich, ist aber noch zu weit in den Hüften und hat nicht die von mir bevorzugte Beinweite. Noch zwei weitere Mustermodelle, und mein persönlicher Jeansschnitt ist ermittelt. „Pretty good“, sagt Tammy und gibt meine Maße (Taille 28, Hüfte 38, Länge 32 inch) in den Computer ein. Jetzt noch die Farbe bestimmen – unter den Varianten Stonewashed, Hellblau, Beige und Weiß wähle ich den sandgestrahlten Klassiker –, und schon übermittelt Tammy die Daten per Modem an die Levi's-Fabrik nach Tennessee. Die ganz Aktion hat keine 15 Minuten gedauert. „Drei Versuche sind normal“, verrät mir Tammy noch, bevor ich meine imaginäre Jeans an der Kasse schon mal ganz real bezahle. „Bei manchen Frauen dauert es aber viel länger. Meist, weil sie nicht gewöhnt sind, sich in richtig sitzenden Jeans zu sehen.“
Angesichts der beutelweiten XX-Large Jeans, die den meisten amerikanischen Teenagern um die Beine schlabbern, glaube ich das gern. Doch die sind ohnehin (noch) nicht die Zielgruppe für die „Personal Pairs“. In US-Metropolen wie New York tragen trendbewußte Kids Riesenjeans von Karl Kani, Girbauds Brand X oder Levi's „Hip Huggers“ – genau wie ihre Rap- und HipHop-Idole auf MTV. Die Jeans-Revolution findet anderswo statt. In Cincinnati/Ohio zum Beispiel. Seit Levi's den „Personal Pair“-Service dort im letzten Jahr einführte, sind die Verkäufe für Frauenjeans um 300 Prozent gestiegen. In der US-Provinz, dort, wo Cowboystiefel und Big Hair, wild auftoupierte, blonde Haarmähnen bei Frauen nie aus der Mode gekommen sind, sind auch figurbetonte Jeans ein Muß. Levi's- Firmensprecherin Jill Lynch beschreibt die Zielgruppe für die neuen maßgemachten Jeans etwas diplomatischer als „Denim-Connoisseurs“ und Frauen, die aufgrund ihrer Figur beim Hosenkauf bisher „diskriminiert wurden“. Mit siebzig Dollar kostet das „Personal Pair“ etwa zwanzig Dollar mehr als eine normale Levi's-Jeans, liegt aber immer noch unter dem Preis vieler Designermodelle.
Außer in Cincinnati und New York wird der Levi's-Service noch in fünf anderen US-Städten, in der Mehrzahl in ländlichen Gegenden, angeboten. Noch schweigt man in der Firmenzentrale in San Francisco darüber, wie viele Maß-Jeans bislang verkauft wurden. Die Ergebnisse scheinen jedoch so erfreulich zu sein, daß der Jeans-Multi den Service bis zum Jahresende landesweit in fünfzehn Läden anbieten will. Dazu kommen noch zwanzig Geschäfte in Kanada (in Deutschland wird die Maßfertigung vorerst nicht eingeführt, ließ die Levi's-Pressestelle auf Anfrage der taz wissen).
Zum wohlgehüteten Geheimnis gehören auch die Produktionsanlagen in Mountain City, Tennessee. „Sorry, kein Zutritt für Außenstehende“, vertröstet mich Firmensprecherin Lynch. Dabei sorgt sie sich wohl weniger um Industriespione als vielmehr ums Firmenimage. Bilder von staubig-dampfenden Fabrikhallen passen da nicht rein.
Sung Park, der Erfinder der robotergeschneiderten Jeans, hat dagegen keine Berührungsängste. Seine Firma Custom Clothing Technology Corp. in Newton, Massachussetts, experimentiert seit Jahren mit Computerprogrammen zur Maßanfertigung in der Bekleidungsindustrie. „Die Idee kam mir in Hongkong, als ich mir einen Anzug schneidern ließ“, sagt der 34jährige Software-Entwickler. „Dort geht das innerhalb von zwei Tagen und kostet viel weniger als ein Anzug hier.“ Was in der Asienmetropole fleißige Menschenhände in kürzester Zeit zustandebringen, hat Park im Industrieland USA nun für die automatische Fließbandproduktion entwickelt. Mit seinem speziellen Computerprogramm sind Schnitt- und Nähroboter in der Lage, nach individuellen Vorgaben zu arbeiten. Die Kooperation mit dem Jeans-Multi hat Park inzwischen zum heißesten Gesprächspartner der Bekleidungsbranche gemacht. „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten für maßgeschneiderte Massenware: Schuhe, Badeanzüge, Büstenhalter“, schwärmt der junge Erfinder. Noch arbeitet seine Firma ausschließlich für Levi's Strauss. Doch in Zukunft will er auch andere Kleiderfabriken revolutionieren. Die Verhandlungen sind schon im vollen Gange.
Zurück zur Jeans. Nach genau 13 Tagen erreicht mich ein Anruf vom Levi's Store: Mein „Personal Pair“ liege zur Anprobe bereit (für einen Aufpreis von fünf Dollar kann man sich die Hose auch nach Hause schicken lassen). Das maßgemachte Stück sieht aus wie jede gewöhnliche Jeans – bis auf den eingenähten Strichcode im Inneren des Bundes. Ich streife sie über, ripzip, Reißverschluß zu. Sie paßt – vielleicht sogar ein bißchen zu gut. Die körperbetonte Enge ist ungewohnt. Ich brauche einige Zeit allein vorm Spiegel, den Zuspruch einer Freundin und ein sonniges Wochenende auf Long Island, bis ich mich schließlich in der neuen Hose zu Hause fühle. Inzwischen trage ich sie am liebsten mit einer pinkfarbenen Bluse und mörderischen Plateau-Sandalen.
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