: Die Stehlampe im Nest Von Viola Roggenkamp
Ich habe zur Zeit ein kinderloses Ehepaar auf meinem Balkon zu Besuch. Sie ist ganz zutraulich geworden. Er ist schreckhaft und nervös. Doch ich bemerke, daß ich seine Furcht für unerhört umsichtige Wachsamkeit halten möchte. Schließlich ist er das Männchen. Sie gehören zur Familie der Drosseln. Oder Amseln? Sie trägt braun und er trägt schwarz. Vermutlich hat es in diesem Jahr nicht geklappt zwischen ihnen. Alle anderen haben schon Nachwuchs. Diese beiden nicht. Sie sitzt auf meinem Balkon, und er steht etwas zurück, hinter den Blumentöpfen. Sie mokiert sich unüberhörbar in leisen Tönen so lange, bis ich ihr einige Rosinen vor die Füße lege. Drei, vier wählt sie aus. Den Rest läßt sie ihm. Doch er kommt erst hervor, wenn sie und ich fort sind.
Ich frage mich, warum die beiden verheiratet sind, ohne Junge zu haben? Steuerliche Gründe können es nicht sein. Und warum ist er so schreckhaft und sie so nörgelig? Ich habe eine engagierte Freundin, die auch dafür das Ozonloch verantwortlich machen will. Es muß etwas zwischen ihnen vorgefallen sein. Wahrscheinlich im Nest. Die Raumaufteilung: Wohnzimmer, Schlafzimmer und das halbe Zimmer für die Kinder, die noch nicht da sind, und darum ist solange hier sein Arbeitszimmer. Außerdem teilt er sich mit seinen Geschäftspartnern im Vorzimmer eine Sekretärin zu fünft. Und sie gibt zuhause am Küchentisch Nachhilfe in Englisch und Latein. In zwei Monaten ist ihr Scheidungstermin. „Es ist eine Schande“, sagte sie selbstanklagend. „Ich bin Feministin und habe noch nicht mal ein Zimmer für mich allein in unserer gemeinsamen Wohnung!“ Das Ende einer Ehe wird mit der Stehlampe eingeleuchtet. Ich beobachte das schon seit langem. Ihr hoch aufragendes, dünnes Gestänge mit der fragilen Birne obendran bestimmt die Aufteilung der Wohnung. Mag sie auch nach modernsten Vorstellungen geformt sein, sie ist ein uraltes patriarchales Instrument und fällt aus ihrer Ecke die Entscheidung: Nebenan wird zusammen geschlafen, hier wird miteinander gewohnt, gemütlich in ihrem Schein. Und wann können sich die beiden aus dem Weg gehen? Wenn er aufs Klo muß und sie in die Küche. Deprimierend.
Noch immer geben Wohnungsgrundrisse gern an, wo das Paar sitzt und wo es zu liegen hat. Vermieter schlagen einem vor, in dem einen Zimmer zu wohnen und „nach hinten zu schlafen“. Es darf auch umgekehrt sein. Hauptsache zusammen. Wieso eigentlich? Zweieinhalb Zimmer, Küche und Bad? Das ist ihr Zimmer, das ist sein Zimmer, und – welch ein Überfluß? – was machen wir mit dem halben? Fernsehraum mit Gästebett, so lange das Kind noch nicht da ist. Ein typisches Heteroproblem? Kein Thema für Lesben und Schwule? Ach, du liebe Zeit. Ich kenne hinreichend homosexuelle Paare, die es gar nicht abwarten können, mit Hilfe ihrer Veloursumrandung einen tiefen Burggraben ums Ehebett zu ziehen, auf daß sie sich nie aus den Augen verlieren. Nicht einmal übern Flur. „Aber dann würde ja alles bei mir, in meinen Zimmer stattfinden!“ Beliebter Einwurf von Frauen, die an dem, was sie ärgert, gern festhalten. Würde es eben nicht. Sie würde sagen können: „Nicht immer bei mir. Ich will auch mal zu dir.“ Ungewohnte Töne im gemeinsamen Nest.
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