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Ganz und gar berechtigtes Auftreten

■ betr.: „Begangenheitsverwälti gung“, taz vom 29. 5. 95

Gabriele Goettle beginnt ihren Artikel zu den Gedenkfeiern in Ravensbrück mit einem Zitat aus dem Buch von Isa Vermehren: „Reise durch den letzten Akt“ von 1946. Im Laufe des Textes heißt es dann: „Ganz zum Schluß, aber das habe ich nicht selbst gehört, soll eine alte Nonne unberechtigterweise das Mikrophon gestürmt und hineingerufen haben: ,Worte! Lauter Worte!‘ (Später erzählte mir ein Bekannter ... daß sie selbst Häftling in Ravensbrück war.)“ In der Tat! Es ist dieselbe Isa Vermehren, die von G. Goettle am Anfang ihres Artikels zitiert wird.

„Isa trieb es so weit, daß sie mit 16 Jahren von zu Hause (angesehene protestantische Lübecker Familie, Anm. d. Verf.) weglief und mit ihrer Ziehharmonika in Berliner Kabaretts auftrat. Mit 20 aber wurde sie plötzlich katholisch und Lehrerin für Sport und Musik in der Schule eines Klosters, in das sie später als Nonne eintrat. Im Krieg lief ihr Bruder Erich in der Türkei zu den Engländern über; daraufhin wurde seine Familie in ,Sippenhaft‘ genommen und kam bis zum Ende des Krieges ins Konzentrationslager. Über diese Zeit hat Isa ein sehr eindrucksvolles Buch geschrieben. Nie sah ich eine fröhlichere und glücklichere Nonne als Isa Vermehren.“ (So erinnert sich die gleichaltrige Freundin Marlene de Man-Flechtheim in: „Geschichte meines Lebens. Ein Zeitdokument“, das 1993 auf Flämisch herauskam und 1996 in einem Sammelband, herausgegeben von Gerd Koch, im Verlag Brandes & Apseln, Frankfurt am Main, auf Deutsch erscheinen wird).

Wenn G. Goettle schreibt, die alte Nonne habe das Mikrophon „gestürmt“, so mag man dem zustimmen: 80jährig, mit kräftiger Stimme rezitierte sie ein polnisches Gebet, das in Ravensbrück entstanden ist. Daß Isa Vermehren „unberechtigterweise“, wie Goettle, die sonst so kritisch zu den RednerInnen steht (und zu den Veranstaltern), schreibt, gesprochen hat, können wir, die wir bei der Veranstaltung dabei waren und die wir den Hintergrund kennen, nicht sagen: Ganz und gar war ihr Auftreten berechtigt! – Und noch eine kleine Randbemerkung: Nicht eine französische Schülerin – wie angekündigt –, sondern ein Schüler sprach ins Mikrophon. Seine Mitschülerin hatte ihn nur aufs Podium begleitet ... Gerd Koch,

Sinah Marx (Schülerin),

Alice-Salomon-Fachhochschule,

Berlin

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