Mit der Gesundheitsreform auf Du und Du: Ärzte zwischen Ethik und Monetik
■ Auf Kosten der PatientInnen sparen?
Seit dem 1.1.93 kehren sie so verläßlich wieder wie Ebbe und Flut: Die Klagen der Ärzte über die Seehofersche Gesundheitsreform. Am Dienstag war es wieder soweit, die Kassenärztliche Vereinigung Bremen meldete Gefahr im Anzug: Die ersten Überschlagsrechnungen für das erste Quartal 1995 der Kassen liegt vor. Sie geben Hinweise, daß das Budget für Arzneimittel und Heilkosten bereits überschritten ist. Klartext: Die Niedergelassenen Ärzte haben, wirtschaftlich betrachtet, „zuviel“ verordnet. Vor allem eine 23prozentige Zunahme bei der Verschreibung von Heilmitteln – dazu zählen beispielsweise Massagen, Krankengymnastik oder Ergotherapie – machen der Kassenärztlichen Vereinigung Sorgen.
Warum? Seit der Gesundheitsreform steht nur ein begrenzter „Geldtopf“ für bestimmte Gesundheitsleistungen bereit. Werden mehr Rezepte für beispielsweise Krankengymnastik oder teure Medikamente ausgeschrieben, gibt es jedoch keinen „Überziehungskredit“. Stattdessen mindert sich der Wert der Einzelleistung: Das Mehr an Verschreibung, das heißt an Ausgaben, wird durch ein Weniger pro Einzelleistung für die Praxis, pro Massage beispielsweise, ausgeglichen. Konkret: Die Kassen greifen in die Taschen der Ärzte und holen sich ihr Geld zurück. Hier gilt das Solidarprinzip auch für Ärzte: für Fehlbeträge kommen alle auf.
Nun hilft nur der sparsame Umgang mit der Leistung, appelliert die Vereinigung nun an die niedergelassene Ärzteschaft. Um vier Prozent sei das Arznei- und Heilmittelbudget schon überschritten. Diese Tendenz müsse gestoppt werden. Eine Plakataktion soll helfen: „Uns sind die Hände gebunden“, wendet es sich an die PatientInnen mit der Bitte um Verständnis. „Denn es kann doch nicht angehen, daß wir die medizinische Versorgung unserer Patienten bezahlen“, wird die alte Klage über die finanzielle „Deckelung“ der medizinischen Freiheit geführt. Auch wenn die nominelle Explosion der Versicherungsbeiträge gestoppt sei – zahlen müßten letztlich doch die PatientInnen.
Wie das? Der Urologe Walther Koldewey malt ein drastisches Bild vom „wahren Eiertanz“: Bei der Behandlung von prostatakranken Männern koste die monatliche Spritze 100 Mark. „Billiger wäre es allerdings, die Hoden einfach abzuschneiden. Aber das hat unter Umständen psychische Folgen, die mit der Ausgabenminderung in keinem Verhältnis stehen.“ Nun stecke er wie alle KollegInnen in der Bredouille zwischen „Ethik und Monetik“.
Kurzfristig sollen PatientInnen helfen: durch den Verzicht seitens der PatientInnen auf „teure Extraverschreibungen.“ Zum Beispiel. Oder indem die Kranken glauben, was auf dem Plakat steht: Daß den Ärzten wirklich die Hände gebunden wären. Denn gesetzlich, daß haben schon die Rangeleien der niedersächsischen Zahnärzte im letzten Herbst ergeben, sind die Ärzte zur Hilfeleistung verpflichtet. ede
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