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Die Angst vor der Privatisierung

Brasiliens Parlament schafft das staatliche Treibstoffmonopol ab und öffnet das Telefonnetz für private Investitionen / Die linke Opposition ist entsetzt  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Die heilige Kuh ist geschlachtet. In einer historischen Sitzung entzog das brasilianische Parlament mit 364 gegen 141 Stimmen am Mittwoch abend dem staatlichen Erdölkonzern „Petrobras“ das Treibstoffmonopol. Durch die Abstimmung ist der strategische Sektor erstmals auch für privates Kapital geöffnet. Einen Tag zuvor schafften die Volksvertreter auch das staatliche Monopol im Bereich Telekommunikation ab.

Durch die einschneidenen Änderungen in der Verfassung vom Oktober 1988 verabschiedete sich Brasilien von einer über 30jährigen Ära, in der die öffentliche Hand als Motor der Wirtschaftsentwicklung galt. „Es ist falsch, noch immer dem Ideal der Autarkie anzuhängen und alle Investitionen zu kontrollieren“, verteidigt Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso seine Politik der Marktöffnung. Der 64jährige Soziologe betonte im Fernsehen, daß er sich weiterhin als Sozialdemokrat definiere. „Wir brauchen jetzt Investitionen jeder Art, und zwar nationale, private und ausländische“, rechtfertigte er die Abschaffung der beiden Monopole.

Brasiliens ehemaliger Finanzminister und Abgeordneter Delfim Netto versuchte die aufgebrachte Opposition zu beruhigen: „Es ändert sich gar nichts“, versichert der redegewandte Volksvertreter. „Der brasilianische Staat behält weiterhin die Kontrolle über die Erdölreserven. Nur wird Petrobras nicht mehr die einzige Firma sein, die sie ausbeutet.“ Die staatliche Erdölraffinierie wurde vor 42 Jahren im Zuge der nationalistischen Kampagne „Das Erdöl gehört uns“ gegründet. Die Entdeckung von großen Erdölreserven hat dazu geführt, daß Brasilien die Hälfte seines Treibstoffbedarfs selbst produziert, die andere Hälfte wird aus Argentinien sowie aus Saudi-Arabien importiert.

Die Telekommunikation wurde von der brasilianischen Militärregierung (1964–1985) für strategisch wichtig erklärt. Bis jetzt kontrolliert die vor 25 Jahren gegründete staatliche Firma „Embratel“ das gesamte Telefonnetz einschließlich Daten- und Satellitenübertragung. „Für uns ist das eine ethische Frage. Wir sind der Auffassung, daß Erdöl und Telekommunikation strategische Sektoren sind“, protestierte der Vorsitzende der brasilianischen Arbeiterpartei PT, Luis Inácio Lula da Silva. Die Opposition befürchtet, daß das alles auf Privatisierung hinausläuft. „Es fängt damit an, daß die Regierung einige Erdölfelder, Raffinerien und Forschungszentren verkaufen will, um das Geld angeblich in die Bereiche Gesundheit und Bildung zu investieren“, vermutet die Abgeordnete Jandira Feghali aus Rio. In Wirklichkeit laufe dies auf eine Zerstückelung des Konzerns hinaus. „Hinterher wird alles verkauft, wie in Argentinien“, befürchtet sie.

Regierungsvertreter beteuern, daß die Befürchtungen der Kritiker unberechtigt seien. „Wir werden nicht alles verkaufen“, versichert Präsident Cardoso. Sein Vater Leonidas sah seinerzeit diese Fragen noch anders. Der General nahm den jungen Fernando damals zu den zahlreichen Demonstrationen mit, wo die Bevölkerung mit dem Slogan „Das Erdöl gehört uns“ die Verstaatlichung der Treibstoffressourcen forderte. Für den Schriftsteller Guilherme Figueiredo bedeutet die Abschaffung des Erdölmonopols den Ausverkauf von Brasiliens Reserven: „Jetzt brauchen wir nur noch die Regierung zu privatisieren“, sagt er in bitterer Ironie.

Nach welchen Spielregeln die brasilianische Regierung künftig Konzessionen und Joint-ventures in der Erdölindustrie und der Telekommunikation erteilt, werden die Volksvertreter in ergänzenden Gesetzen ausformulieren müssen. Die vom Parlament abgesegneten Verfassungsänderungen müssen noch durch den Senat. Nach der verheerenden Niederlage am Mittwoch hat die Opposition bereits das Handtuch geschmissen: „Wir haben nur Argumente. Die Regierung bietet Posten“, beschwert sich PT-Fraktionsführer Jacques Wagner. „Leider ist das hier die Logik, die zählt.“

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