: Spaniens Sonne unterm Halbmond
Mit Ausstellungen und touristischen Routen wird derzeit die maurische Kultur Südspaniens dokumentiert. „Das islamische Erbe“, so auch der Titel dieses Projekts, als Markenzeichen einer toleranten, mediterranen Mischkultur ■ Von Edith Kresta
Oh ihr Bewohner von Al-Andalus, welche Wonne ist Euer! Wasser besitzt ihr, Schatten, Flüsse und Bäume; nirgends anders ist das ewige Paradies als in eurer Wohnstatt...“ (Ibn Jafaya)
Wasser fehlt heute in Andalusien mehr denn je. Die meisten Flüsse sind versandet. Schatten spendende Bäume sind rar. Das Paradies, das der arabische Gelehrte Ibn Jafaya im 12. Jahrhundert preist, hat sich gewandelt. Um so begehrlicher ist die Vergangenheit. „Eres parte del legado andalusi. Vivelo!“ („Du bist Teil des andalusischen Erbes. Lebe es!“) Dieser Slogan prangt als Aufkleber an fast allen Geschäften in den Städten Andalusiens. Gehäuft erscheint er in den Anzeigenteilen der lokalen und überregionalen Presse. Das Projekt „Das Erbe von Al-Andalus“ leistet gute PR. Der Zeitungshändler in Granada, auf die Bedeutung des Aufklebers an seiner Tür angesprochen, meint, dies seien irgendwelche touristische Routen. Auf die Frage, wie er das Erbe Andalusiens denn leben solle, antwortet er nach längerem Zögern: „Es geht auch irgendwie um Toleranz.“
„Das Projekt ,das Erbe von Al- Andalus‘ will an die islamische Zivilisation erinnern, diese bekannt machen und ihr Vermächtnis erhalten. Aber nicht nur in bezug auf ihre Denkmäler und Bauten“, erklärt Imaculada Vilardebo, die Pressesprecherin des Projekts. „Es geht uns um die Seele dieser Zivilisation. Wir wollen ihre Werte erhalten. Wir glauben, daß Toleranz und friedliches Zusammenleben Werte sind, die unserer Welt fehlen. Deshalb beziehen wir uns auf eine Epoche, wo die Kulturen und Religionen in der Lage waren, zusammenzuleben.“ Imaculada Vilardebo betont den positiven Mythos des islamischen Andalusien, wo Christen, Muslime und Juden friedlich zusammenlebten. Ein Mythos auch wider die heutigen Stereotypen vom fanatischen, intoleranten Islam.
Die Alhambra in Granada, die Moschee in Córdoba oder die Giralda von Sevilla sind die vielgerühmten Überreste dieser Zivilisation und die touristischen Höhepunkte Spaniens. Während das geistige Leben in Resteuropa darbte, entwickelten sich hier zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhundert Wissenschaft, Kunst und Architektur. In den Städten florierte der Handel. Das Umland produzierte reichhaltige Ernte, deren Ertrag durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme gesteigert wurde. Mit Ausstellungen, Publikationen und touristischen Routen wird jetzt das islamische Erbe dokumentiert.
Ein Novum. Denn bislang bezog man sich in spanischen Geschichtsbüchern fast ausschließlich auf die endgültige Rückeroberung der maurischen Kalifate durch die katholischen Könige Isabel und Fernando. Es sind die Legenden von siegreichen Rittern im Zeichen des Kreuzes. Mit der Eroberung Granadas 1492 war die endgültige Vertreibung der Muslime und Juden von der iberischen Halbinsel besiegelt. Damit begann auch ein dunkles Kapitel spanischer Kirchengeschichte. Doch dem Projekt „Das Erbe von Al- Andalus“ geht es nicht um die historische Aufarbeitung von Inquisition, Zwangstaufe und Vertreibung. „Uns geht es um die positive Bilanz des historischen Vermächtnisses“, meint Presseprecherin Vilardebo.
Die Ritter von der traurigen Gestalt sind heute ohnehin out. Positive Mythen braucht die Welt, und die Werbung allemal. Kein Schnee: die publicityverdächtige Skiweltmeisterschaft 1995 in der Sierra Nevada fällt flach. Kein Wasser: die Touristen haben Angst an der Costa del Sol zu verdursten. So schnell wie Schnee schmelzen unter widrigen Umständen die Touristenzahlen. Andalusien ist vom Wetter gebeutelt. Als Rahmenprogramm für die geplatzte Skiweltmeisterschaft 1995 besannen sich Werbemanager daher auf unvergängliche, weil vergangene Werte. Eben auf „das Erbe von Al-Andalus“.
Dieses Projekt wird von namhaften Wissenschaftlern, Künstlern, Intellektuellen und staatlichen Organisationen unterstützt. Ehrenvorsitzender ist der spanische König Juan Carlos. Getragen wird es vor allem von Werbefachleuten und finanzstarken Sponsoren wie Unternehmen und Banken. Die südlichste Region Spaniens soll durch dieses Projekt regionales Selbstbewußtsein und vor allem ein charakteristisches Markenzeichen erhalten. Das Markenzeichen einer mediterranen Mischkultur, einer hochentwickelten, toleranten Zivilisation.
„Andalusien“, so Imaculada Vilardebo, „verkörpert das Selbstbewußtsein des Mischlings.“ Und diese mediterrane Mischkultur sieht man auch als touristisches Kapital dieser strukturschwachen Region, nachdem Küstenorte wie Torremolinos längst zum touristischen Auslaufmodell geworden sind.
Spezielle Routen „Auf den Spuren der Mauren“ sollen die Urlauber ins Hinterland locken. Die längste und aufwendigste Route führt allerdings vom syrischen Damaskus durch die Maghreb-Staaten bis zum spanischen Badeort Almuñécar. Es ist der weite Weg des Omaijaden-Prinzen Abd al- Rahman zum spanischen Festland. In der Bucht von Almuñécar, überschattet von einem großen Kreuz, steht einsam seine Statue. Wer keinen Aufwand scheut und der langen Reisestrecke des Begründers der cordobesischen Dynastie folgt, kommt durch einige der wichtigsten Städte des Islams wie Kairouan, Tripoli, Alexandria oder Amman. Auf diesem Weg kam auch die arabische Kunst, Wissenschaft und Kultur vom Orient in den Okzident. „Das Erbe von Al-Andalus“ will heute wieder dazu beitragen, die Beziehung zu den Maghreb-Staaten zu fördern. Es versteht sich als mediterranes Kulturprojekt, als Bindeglied zur anderen, von Europa ausgegrenzten Seite des Mittelmeers.
Weniger aufwendig ist die „Route des Leo Africanus“, dem der Schriftsteller Amin Maalouf im gleichnamigen Roman ein Denkmal setzte. Der Maure Hassan, Leo Africanus, flüchtete vor den christlichen Häschern mit seiner Famile aus Granada die Küste entlang bis Almeria. Der Weg führt durch bekannte Badeorte. Unbekannter und eher für Wanderer ist die „Route der Alpujarras“. Sie geht von Granada über eine Reihe natürlicher Pässe bis zur Küstenstadt Almeria.
Kurvige Straßen schlängeln sich durch die weiß gekalkten Dörfer an den Berghängen der Sierra Nevada. Das Vermächtnis der Mauren, die in den Alpujarras ihre letzte Bleibe auf iberischem Boden gefunden hatten, ist hier wenig spektakulär. Fast alle Moscheen und Burgen wurden zerstört. Geblieben ist die maurische Architektur der Dörfer. Auf den verschachtelten, kubischen Bauten mit ihren Flachdächern trocknen Paprikaschoten. Verwinkelte, enge Gassen führen leicht in die Irre. Hirten hüten Ziegen und Schafe. Esel dienen nach wie vor als Fortbewegungs- und Transportmittel. Granatapfel-, Mandel-, Orangen-, Öl- und Maulbeerbäume wachsen auf den terrassierten Bergen. Sie sind das landschaftsprägende Erbe der Mauren. Allerdings begann die Verödung des ausgeklügelten Bewässerungssystems schon bald nach der endgültigen Vertreibung des Islams von der iberischen Halbinsel im 15. Jahrhundert. Die dort neu angesiedelten Christen aus dem regenreichen Galicien oder Asturien hatten von Bewässerungstechnik keine Ahnung. Aus blühenden Gärten wurde Brachland.
Heute wirken viele Gegenden unbearbeitet, kahl und wüstenartig. Hinzu kommt die anhaltende Trockenheit des spanischen Südens. „Seit sechs Jahren hat es nicht mehr geregnet“, erzählt der Lebensmittelhändler Federico Gallepoz aus Pampaneira. „Es vertrocknen die Mandeln, die Oliven. Es gibt dieses Jahr keine Blumen. Unsere Bienen müssen wir mit Zuckerwasser füttern. Das Vieh muß verkauft werden, weil es sich nicht mehr lohnt, das teure Futter zu kaufen. Viele Leute ziehen weg. Unsere einzige Perspektive ist der Tourismus.“
Und diesen will das Projekt „Das Erbe von Al-Andalus“ fördern. Ein Kulturtourismus ins Landesinnere soll vor allem Arbeitsplätze in kleinen Familienunternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe schaffen. Er soll das Kunsthandwerk, die Töpferwerkstätten und Webereien neu beleben und zum direkten Verkauf agrarischer Produkte aus der Region beitragen. Honig, bester Schinken, gewebte Teppiche, marokkanisch anmutende Töpfereien und Lederarbeiten werden an den Marktständen angeboten.
Trockenheit und Abwanderung lassen die Dörfer der Alpujarras veröden. Die Jungen ziehen weg, hinzu kommen höchstens Wochenendtouristen oder ehemalige Auswanderer, die sich jahrzehntelang ihren Lebensunterhalt zwischen Düsseldorf und Stuttgart erarbeiteten. Als Rentner kehren sie nun in ihre alte Heimat zurück.
Dort scheint die Zeit rückwärts zu laufen. Die weißen Dörfer, das ist Stille, Abgeschiedenheit und vergessene Geschichte. Häufig wird die Wäsche noch in den öffentlichen Waschhäusern gewaschen. Die Hufeisenbögen vieler dieser Waschplätze verraten die maurische Herkunft, und Namen wie „el Barranco de sangre“ (Blutschlucht) in der Nähe des Dorfes Pampaneira weisen auf die letzten Schlachten zwischen Christen und Mauren hin. In vielen spanischen Dörfern wird immer noch das Spektakel „Christen und Mauren“ inszeniert. Dazu verkleidet sich ein Teil der Spieler als Mauren mit Turbanen, wallenden Gewändern und Halbmond; die anderen als Christen mit Ritterrüstungen und Kreuz. Sie kämpfen theatralisch gegeneinander. „Für einen Spanier ist klar, daß am Ende immer die Christen gewinnen“, erzählt Francisco Puka aus dem Dorf Bubion.
Heute ist das Erbe der islamischen Eroberer in Mode gekommen. Man nutzt es als Aushängeschild und zur Vermarktung einer Region. Mit Werten wie Toleranz und friedlichem Zusammenleben der Kulturen und Religionen läßt sich gut trommeln. „Wir wollen mit dem positiven Mythos von Al-Andalus den heutigen negativen Beispielen wie Sarajevo etwas entgegensetzen“, so die Pressesprecherin des Projekts. Wenn sich der Mythos dann auch noch praktisch auszahlt, der Erhaltung eines Kulturerbes und der Regionalentwicklung dient – um so besser. Es ist eindeutiges Vermächtnis unserer Zeit, daß positive Mythen vor allem von findigen Werbeagenturen und nicht von Kirche oder Staat geschaffen werden. Eine größere Breitenwirkung haben sie dadurch allemal. Spaniens Sonne unter dem Halbmond leuchtet jetzt nicht nur ein paar kulturbeflissenen Andalusien-Reisenden. Auch der unbedarfte Tourist verliert sich vielleicht in die eine oder andere Ausstellung zu „Al-Andalus“, die derzeit zwischen Sevilla und Almeria zu sehen ist. Und staunt über Bewässerungstechnik, Wissenschaft, Architektur und Toleranz des Islams, der auf dieser Seite des Mittelmeers meist nur schlechte Presse hat.
Informationen zum Projekt „Das Erbe von Al-Andalus“ geben die spanischen Fremdenverkehrsämter in 10707 Berlin, Kurfürstendamm 180, Tel.: 030/8826542 oder in 60323 Frankfurt am Main, Myliusstr. 14, Tel.: 069-725033.
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