Kommentar: Schamlos
■ Parteien okkupieren das Rathaus
Politik besteht – zumal in einem Bundesland, in dem angesichts massiver Sparzwänge die politische Handlungsfähigkeit gegen Null tendiert – zu einem großen Teil aus Symbolik. Und in diesem Sinn haben die künftigen Großkoalitionäre von SPD und CDU sich gestern bereits in schönster Tradition seliger SPD-Alleinherrschaftszeiten dazu bekannt, was sie im Bremer Staat in erster Linie sehen: einen Selbstbedienungsladen zur Befriedigung eigener Pfründe.
Oder welche symbolische Bedeutung sollte es sonst haben, daß sich die Verhandlungsdelegationen der beiden Parteien schon zur ersten Sitzung im Rathaus treffen und auf Steuerzahlerkosten von Rathaus-Dienern mit Rathauskaffee und Rathausgebäck versorgen lassen? Zur Erinnerung: Koalitionen werden von Parteien geschlossen, im Rathaus soll der von der Bürgerschaft gewählte Präsident des Senats arbeiten. Aber so ist das eben mit Großen Koalitionen. Die wähnen drei Viertel des Parlaments hinter sich und schließen daraus: Wir sind das Volk, die Macht und die Herrlichkeit. Und wo würde die sich in Bremen besser niederlassen als im ehrwürdigen Kaminsaal hinter der feinen Fassade von Weser-Renaissance.
Was hat die CDU immer gewettert gegen den „stinkenden Genossenfilz“. Erst jetzt begreifen wir richtig, wie diese Kritik gemeint war: Als Beschwerde, daß man selber dabei nichts abbekommt.
Dirk Asendorpf
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