Umsonst und ohne Sinn

■ Heute startet der ZDF-Vierteiler "Zu Fuß und ohne Geld" (21.40 Uhr, ZDF)

Die Geschichte hinter der Geschichte ist tragisch. 1983 spaziert Michael Holzach mit der ZDF-Redakteurin Marianne Lüdke und seinem Hund Feldmann an der Emscher entlang. Marianne Lüdke hat Holzachs Buch „Deutschland umsonst“ entdeckt, ist begeistert und möchte es verfilmen. Holzach zeigt ihr geeignete Drehorte. Plötzlich fällt Feldmann auf der Jagd nach Karnickeln in die Emscher; Holzach springt hinterher und ertrinkt.

Die Nachricht von seinem Tod trifft die, die ihn kannten, tief. Holzach war 36 Jahre alt, Journalist und Autor, bis 1978 Redakteur der Zeit in Hamburg. Zeit-Kollege Rüdiger Dilloo formuliert in einem letzten Brief an den Toten: „Wir weinen, Michael. Aber dein Tod läßt uns am Leben nicht verzweifeln. Du hinterläßt uns eine gute Spur.“

Es war tatsächlich eine gute Spur, die Holzach gelegt hatte. Als Schreiber hatte er immer die Peripherie gesucht, die Randexistenzen, das verstellte, verhinderte Leben der vielen. Er schrieb Sozialreportagen über Arbeiter, Aussiedler und Arbeitslose, über die kleinen Fluchten, Alkohol, Lotto und Camping, über Kindheit und Kloster als letzte Glücksversprechen in einer wenig glückverheißenden Welt.

Urs Jaeggi lieh sich vor einigen Jahren in einem Vorwort zu einem Holzach-Sammelband ein paar glücklich treffende Zeilen von Ernst Jandl: „es sei ihm jedoch / in den jahrzehnten / seiner mannbarkeit / um das schreiben / gegangen, oder um / eine kombination von / schreiben und /schreien.“

Holzach hatte immer auch Zweifel an der Redlichkeit seiner Reportagen, denn immer war er letztlich nur Chronist und Nutznießer des elenden Lebens der anderen. Im Laufe der Jahre trieb er den persönlichen Preis für seine Erkundungen in fremden Leben und Wirklichkeiten immer höher, als gelte es, eine Fusion von Schreiben und Leben herzustellen. 1978 kündigte er bei der Zeit und lief mit Hund Feldmann ein halbes Jahr lang zu Fuß und ohne Geld von Hamburg nach München. Das Buch, das er über diese Zeit schrieb, „Deutschland umsonst“, wurde zu einem vielgelesenen Bericht über eine lange und gründliche Reise an die Ränder der Erfolgsgesellschaft. Hin zu denen mit den zerbrochenen Biographien und kleinen, mißachteten Leben, zu den Bettlern und Landstreichern, Alkoholikern und Junkies, zu den Ausgestoßenen und Ausgestiegenen. Holzach traf auch auf die im Dunstkreis der labileren Existenzen, die Pfarrer und Polizisten, die Kleinbürger, Bauern und Menschenschinder.

Das ZDF ließ sich nun, eineinhalb Jahrzehnte später, von „Deutschland umsonst“ keineswegs dazu verleiten, die Wege des Michael Holzach einfach, still und präzise nachzugehen. Ganz im Gegenteil: „Zu Fuß und ohne Geld“, so der Titel des Vierteilers, ist eine alberne Schmonzette geworden. Autor Herbert Lichtenfeld („Die Schwarzwaldklinik“, „Traumschiff“, „Der Landarzt“, zwei Dutzend „Tatort“) hat alles tiefergelegt und aufgepeppt. Da ein Mord, dort eine angedeutete Verführung, da eine schutzbedürftige Hure, dort ein Überfall – man hört das Reißbrett förmlich knarzen, auf dem diese Geschichten entstanden sind.

Von Holzachs Buch sind allenfalls ein paar Motive übriggeblieben. Wohin die Reise geht, ahnt man gleich zu Beginn, wenn der Journalist, der hier Waldhoff heißt und von dem viel zu bekannten Robert Atzorn gespielt wird, mit einem Obdachlosen zusammensitzt und über dessen Leben spricht. Der nämlich outet sich als ehemaliger Cellist, der nicht nur ohne zu stocken „Dominantseptakkord“ aussprechen kann, sondern auch noch weiß, was das ist. Ein tadelloser Bildungsbürger, durch unglückliche Umstände auf der Straße. So geht's zu, wenn die Mainzer sozialkritisch sein wollen und sich tapfer auch den unschönen Seiten des Lebens stellen.

Kurzum: Es ist ein Graus. Wildentschlossen wird mit dem Brecheisen erzählt. Holzach alias Waldhoff alias Atzorn streitet sich als letzter Guter unter Dekadenten mit seinem Chefredakteur über Trüffelhobel oder Sozialreportagen und ist auch ansonsten von allerlei lächerlichen Upper-Middle- Class-Figuren mit lächerlichen Problemen umgeben, die ihn schließlich auf die Straße treiben. Alles ertrinkt, wie gewohnt im deutschen Fernsehspiel, in mühsamen, gedrechselten, geschriebenen Dialogen, und das gesamte Personal trägt seine Psychologie vor sich her, als hätte es größte Sorge, daß sich das Publikum möglicherweise seinen eigenen Reim auf die eine oder andere Figur machen könnte. Mit anderen Worten: grandios verhunzt. Die Wirklichkeit findet wieder einmal nicht statt. Das ist, wenn schon nicht überraschend, so doch jammerschade. Dabei hätte man sich einfach nur an Holzach halten können und an sein Talent, Wirklichkeit zu finden und zu beschreiben. Klaus Haas