: "Intervention darf nicht sein"
■ Eingreifen, aber wie? Der katholische Theologe Joachim Garstecki und der Gastgeber des Kirchentages, Bischof Karl Ludwig Kohlwage, trafen sich zum Streitgespräch über Ex-Jugoslawien.Und blieben unversöhnlich
taz: Kirchentagspräsident Benda hat zu einem stärkeren Engagement der Bundeswehr in Ex- Jugoslawien aufgerufen. Darf er das?
Karl Ludwig Kohlwage: Das kann ihm keiner verbieten.
Joachim Garstecki: Er hätte besser geschwiegen. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, als wolle der Präsident des Kirchentages der Bundeswehr in vorausschauendem Gehorsam einen Persilschein für mögliche Einsätze ausstellen. Der Kirchentag muß ganz unbefangen fragen, was sein Urteil in dieser Frage ist. Und das kann eigentlich nur lauten: Jeder Spielraum für eine politische Lösung muß vergrößert werden. Alles andere kann ich mir nicht als Sache der Kirche vorstellen.
Kohlwage: Es muß ein Ende gemacht werden mit dem Morden, mit den ethnischen Säuberungen. Wenn Soldaten, die dazu da sind, die kämpfenden Fronten auseinanderzuhalten, vorgeführt werden wie die Affen im Zoo, ist das unterträglich für die Völkergemeinschaft.
Was soll sie tun?
Kohlwage: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Dem muß man folgen. Aber es kann Situationen geben, in denen das in Kumpanei und in ein faktisches Abfinden mit der weitergehenden Unmenschlichkeit umschlägt.
Dann muß man den „gerechten Krieg“ führen?
Garstecki: Krieg kann niemals gerecht sein.
Kohlwage: Der „gerechte Krieg“ ist eine lutherische Begrifflichkeit, mit der er den Krieg humanisieren und rationalisieren wollte. Gemeint ist ein Krieg, der friedliche Zustände herstellen soll. Unter den Bedingungen der Gegenwart kann man diesen Begriff nicht verwenden. Aber es gibt Situationen, in denen man vor der Frage steht, ob militärische Gewalt anzuwenden ist oder nicht.
Stellt sich diese Frage auch für einen Christen?
Garstecki: Ich finde es unheimlich sympathisch, daß die taz nach dem christlichen Eingemachten fragt. Aber wir können die Frage nicht allein aus christlichen Grundsätzen und Traditionen beantworten, sondern müssen gucken, was die ganz konkrete gesellschaftliche und politische Situation ist, in die hinein wir eine solche christlich begründete Antwort geben. Auch für einen Christen kann es eine legitime Frage sein, ob man mit militärischen Mitteln Gewalt gegen schutzlose Menschen eindämmt. Wenn ich das unter streng begrenzten Bedingungen bejahe, verstoße ich zwar gegen das, was Gott von uns erwartet, ich verstoße möglicherweise auch gegen meine eigene pazifistische Position, und muß es dann als schuldhaftes Versagen bekennen. Aber es ist christlich möglich, und die christliche Tradition ist voll von solchen Beispielen.
Herr Kohlwage, wann muß militärische Gewalt angewendet werden?
Kohlwage: Wenn das Morden einfach ungehindert weitergeht. Wieviel Jahre wollen wir denn noch zusehen?
Das frage ich Sie.
Kohlwage: Ich weiß es nicht. In diesem Jahrhundert gab es Situationen, in denen nur noch militärische Gewalt etwas erreichen konnte. Auschwitz und Buchenwald sind militärisch befreit worden. Aber bei uns herrscht die Haltung: Lasset uns essen und trinken, denn wir bewegen ja doch nichts mehr. Das kann keine Option eines Christen sein. Auch in Burundi wäre der massivste militärische Einsatz nötig gewesen, um Menschen vor diesen viehischen Attacken zu schützen.
Garstecki: Diese Position ist in bezug auf Ex-Jugoslawien theoretisch und rhetorisch. Wenn sie praktikabel wäre, wäre sie längst umgesetzt worden. Auch wenn sich das Grauen fortsetzen sollte, kann man allein daraus keine Intervention ableiten. Sie wäre zwar eine momentane Entlastung der unmittelbar Betroffenen, aber sie steht in keiner konstruktiven Verbindung zum Ziel eines gerechten Friedens. Das aber muß unser Anliegen sein. Wir müssen uns davor hüten, unsere Ohnmacht zu rationalisieren mit einem rhetorischen Interventionismus, der so tut, als könnten wir militärisch die Antwort geben, die wir politisch nicht haben.
Kohlwage: Natürlich sind die politischen Lösungen noch nicht ausgeschöpft. Mir fällt immer wieder auf, wie modern die kämpfenden Seiten ausgerüstet sind – trotz Embargo. Wer verdient daran?
Was bedeutet es dann für einen Christen, wenn sich der Bundestag nächste Woche für einen Tornadoeinsatz entscheiden sollte?
Kohlwage: Ich habe hohen Respekt vor einer konsequent pazifistischen Haltung, aber sie ist nicht die meiner Kirche.
Ein Widerspruch zum Evangelium.
Kohlwage: Natürlich, so widersprüchlich wie das Leben. Selbstverständlich können Sie sagen, ich halte mich aus allem raus. Sollen sie doch Kinder quälen und Frauen schänden, ich kann nicht helfen, denn ich bin gegen Gewalt. Aber diese Haltung hilft den Opfern nicht.
Garstecki: Trotzdem sollten wir eine Kirche des Friedens sein. Das bedeutet: christliche Überzeugungen von Gewaltfreiheit in Verbindung zu bringen mit einer politischen Analyse. Man muß auf die zivile Karte setzen. Diese Überlegung muß in die politische Entscheidung des Bundestages einfließen, aber erst recht in die friedensethische Meinungsbildung der Kirchen und eines Kirchentages. Ein Kirchentag muß ein klares Nein zu Tornadoeinsätzen sagen.
Kohlwage: Ich kann mich nicht so eindeutig festlegen. Ich argumentiere historisch: Jugoslawien ist nicht unser Feld. Einen Einsatz deutscher Soldaten halte ich nicht für möglich.
Garstecki: Ein Forum wie der Kirchentag muß fragen: Wie muß Politik konzipiert sein, damit das, was wir heute ohnmächtig erleben, morgen vermieden werden kann. Wir müssen diejenigen Kräfte stärken, die auf Vermittlung, Deeskalation, Interessenausgleich und Prävention zielen. Interventionismus ist die Ultima ratio der Zu- spätgekommenen. Die jetzige Debatte hat nichts mehr mit dem Schutz der betroffenen Menschen in Bosnien zu tun. Es geht nur noch darum, wie die Blauhelme gut rauskommen. Die Betroffenen – die nach klassischer christlicher Vorstellung zu schützen wären – kommen ja überhaupt nicht mehr vor.
Kann Tyrannenmord eine christliche Option sein. Für Dietrich Bonhoeffer war er legitim.
Kohlwage: Es gibt kein christliches Handbuch für den Tyrannenmord.
Garstecki: Aber es gibt so etwas, wie eine Negativökonomie der Opfer, und ich frage mich, warum die westeuropäischen Staaten, die soviel Geld in ihre Geheimdienste investieren, nicht in der Lage sind, ein Opfer an prominenter Stelle zu riskieren, damit viele andere Opfer nicht mehr gebracht werden müssen. Politisch sehr heikel, aber daß diese Frage nicht laut gestellt wird, hat mit den verschiedenen Interessen der europäischen Staaten zu tun. Die vielgerühmte europäische Union ist nicht in der Lage mit einer Stimme zu sprechen, und läßt jedem Konfliktpartner sein Hintertürchen offen. So macht sich die Politik zum Popanz.
Und die Kirchen? Im Ökumenischen Weltrat der Kirchen schaffen es die Mitglieder noch nicht einmal, die serbisch-orthodoxe Kirche wegen ihrer klerikal-nationalistischen Ideologie zu suspendieren. Bei zwei Apartheidskirchen konnten sie sich doch auch dazu durchringen.
Garstecki: Der ÖRK ist eben ein Dachverband der Kirchen, wie die UNO einer für Staaten ist, und kann nur im Konsens handeln.
Wenn die Mehrheit im ÖRK es wollte, könnte sie eine Entscheidung gegen die serbische Kirche treffen. Alle orthodoxen Kirchen zusammen haben nicht mehr als 40 Prozent der Stimmen.
Garstecki: Daran zeigt sich, daß die Kirchen eben nicht die reine Lehre des Evangeliums vertreten, sondern tief involviert sind in staatliche und gesellschaftliche Bindungen, so daß sie eben nicht das Ferment eines gerechten Friedens sein können.
Kohlwage: Die Kirchen des Ostens wurden jahrzehntelang marginalisiert, plötzlich sind sie wieder in den Mttelpunkt der neuen Staatswesen gerückt, ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein. Deshalb kann man jetzt nicht mit dem Vorschlaghammer auf sie eindreschen.
Wieso darf man eine christliche Kirche nicht an ihrem eigenen Anspruch messen?
Garstecki: Eine Kirche zu exkommunizieren ist auch nur eine subtile Variante, den Schuldigen an den Pranger zu stellen.
Wo bleibt da das Eigentliche der Kirche?
Kohlwage: Das Eigentliche ist das Evangelium. Aber wenn eine Kirche in den Bereich öffentlicher Verantwortung eintritt ..
Garstecki: Ich will schon eine Kirche, die deutlicher als bisher in ihrer zweitausendjährigen Geschichte sagt, was sie eigentlich zu bezeugen hat. Und die Kraft läge dann nicht in der Akzeptanz für Hinz und Kunz und der Ausgewogenheit, sondern in der Klarheit eines Zeugnisses für einen Frieden, der höher ist als unsere Vernunft. Ich habe verantwortliche Kirchenleute von einer „Ermutigung zum militärischen Eingreifen“ reden hören. Ich denke, daß wir in der Gefahr stehen – und das wäre ein weitreichender Sündenfall – wenn wir diese Ultima ratio des Eingreifens irgendwie in den Köpfen legitimieren würden. Denn dann laufen wir Gefahr, sie gegen unseren Willen wieder zur normalen politischen Ratio werden zu lassen.
Kohlwage: Eine radikal pazifistische Haltung kriegen sie in der Kirche nicht durch.
Garstecki: Wenn man Christliches wie Politisches zusammenspinnt, muß Gewaltfreiheit die vorrangige Option sein. Intervention darf nicht die Botschaft von Hamburg sein.
Kohlwage: Aber diese Barbarei kann doch nicht angehen. Aus grundsätzlichen Erwägungen kann ich nicht der militärischen Gewalt absprechen, auch friedenschaffend zu wirken.
Garstecki: Die politische Analyse und meine innerste christliche Überzeugung bringen mich dazu, eine militärische Intervention auszuschließen.
Das Gespräch moderierte
Bascha Mika
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