■ Schnittplatz
: Altehrwürdig

„Eine Farmerfamilie aus Iowa ist zu Besuch in Washington. Bei einer Führung durch die Library of Congress erfährt sie, daß hier das gesamte Wissen der Vereinigten Staaten von Amerika gesammelt sei. Mutter und Vater schauen sich an und dann auf die beiden Kinder. Was nur könnten sie jetzt fragen? Aber ihnen fällt nichts ein ...“ Gern und oft erzählt Joseph Weizenbaum diese Geschichte, um seine These für das Informationszeitalter zu bebildern: „Meist ist eben die Fragestellung das Problem und nicht die Suche nach der Antwort.“

Weizenbaum, in den USA als altehrwürdiger Computerkritiker anerkannt, lehrt am Massachussetts Institute of Technology (MIT) – und jetzt für ein halbes Jahr als Gast an der Freiburger Universität. Am Wochenende referierte er bei den altehrwürdigen BürgerrechtlerInnen von der Humanistischen Union.

Das Thema hieß eigentlich publikumsheischend „Bürgersteige auf der Datenautobahn“. Leider war auch für Weizenbaum offenkundig die Fragestellung das Problem. Lieber schwärmte er mit funkelnden Augen von den glorreichen Sechzigern: „Fast alle Aktionen gegen den Vietnamkrieg haben wir über das Internet koordiniert. Und obwohl das Netz eine militärische Erfindung war, hat das Pentagon nie interveniert.“ Überhaupt war früher im Internet die Welt noch in Ordnung: „Damals waren die Messages vernünftig, nicht bösartig oder trivial. Heute dagegen wuchert überall Unsinn und Pornographie.“

Will er die Freiheit im Internet – oder sogar das Netz selber – abschaffen? Der Computerdissident weiß das selbst nicht so recht: „Ich sehe den Nutzen und will das Kind eigentlich nicht mit dem Bade ausschütten. Aber das haben wir schon oft gesagt, und später hat uns das Kind gar nicht mehr gefallen.“ Ihn plagt die Angst vor dem Verschwinden des Buches, die Verwilderung der Sprache, das funktionelle Analphabetentum. Wie das alles mit dem Internet zusammenhängt, erklärt er nicht. Und eigentlich ist es auch gar nicht sein Hauptfeind: „Wenn ich die Macht hätte, würde ich das Massenfernsehen weltweit beseitigen.“ Ob dann die Farmerfamilie aus Iowa endlich in ihre Stadtbibliothek geht?Christian Rath