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Nur neue teure Wohnviertel sanieren Bremen!

■ Interne Planstudie: bis 2007 muß Bremen auf 740.000 Einwohner wachsen - das kostet 840 Hektar grüner Wiese

Niemand hat bisher Klartext über die zwangsläufige Konsequenz des Sanierungsprogramms geredet. Das stellt ein Papier fest, das der Finanzsenator am 12.6.1995, also am Tag nach der SPD-Entscheidung für die große Koalition, intern verbreitet hat. Begründung: Alle bisherigen Planungen sind davon ausgegangen, daß Bremen nicht oder nur sehr gemächlich wächst – um die Steuerkraft Bremens zu sanieren, muß Bremen aber seine bisherigen Grenzen sprengen. Bisher wurde angenommen, das Land würde von heute 682.000 EinwohnerInnen auf 704.000 im Jahre 2007 anwachsen. Bremen muß aber, sagt das Finanzressort, auf mindestens 743.000 EinwohnerInnen anwachsen, also knapp 10 Prozent mehr als heute.

Das hat Folgen: Viel mehr Arbeitsplätze als bisher angenommen müssen geschaffen werden, insgesamt ca. 33.000, wenn Bremen die Arbeitslosenquote auch nur auf Bundes-Niveau halten will. Dafür braucht Bremen zusätzliche Gewerbeflächen – nicht nur wie bisher geplant 110 Hektar, sondern fast dreimal soviel, 320 Hektar.

Die zusätzlichen Menschen wollen aber auch gut wohnen. Zweite eindeutige Zahl aus dem internen Papier: Jeder zusätzliche Arbeitsplatz trägt nur 930 Mark zur Erhöhung der Steuerkraft bei, wenn die Arbeitskraft in Niedersachsen wohnt. Jeder, der sich in Bremen anmeldet und hier Steuern zahlt, schlägt im statistischen Durchschnitt mit 5.900 Mark mehr Steuerkraft zu Buche. Zusätzliche Arbeitsplätze machen zur Sanierung der Staatsfinanzen also nur dann einen Sinn, wenn es attraktive Wohnlagen innerhalb der Landesgrenzen für sie gibt. Nicht 210 Hektar grüne Wiese müssen bis zum Jahre 2007 für neue Wohnungen bebaut werden, wie bisher geplant, sondern 520 Hektar, so kalkuliert die Fachabteilung des Finanzsenators. Und dies „mit verstärktem Schwerpunkt im Eigenheimbau“, also nicht mehrgeschossige Häuser für Mietwohnungen...

Denn die Kalkulation der Steuer-Chefs ist ganz einfach: Wer sich ein Eigenheim leisten kann, zahlt viel Steuern. Wenn Bremen wie bisher nur die mehrgeschossige dichte Bauweise favorisiert, ziehen die BesserverdienerInnen ins Umland und zahlen in Niedersachsen ihre Steuern, Bremen behielte die SozialhilfeempfängerInnen und die Arbeitslosen. Einwohnerverluste, so das Finanzpapier, haben „entscheidend zur finanziellen Notlage des Landes beigetragen“.

Für mehr Gewerbe und 10 Prozent mehr EinwohnerInnen müssen auch die Verkehrsverbindungen ausgebaut werden – und das sind für das Finanzressort in erster Linie die Straßen.

Das Zahlenwerk des Finanzressorts kann dabei nur prognostizieren, was passieren müßte, wenn passieren soll, was Planziel ist. Ob wirklich mehr Firmen mehr Arbeitsplätze schaffen, wenn die Gewerbeflächen zur Verfügung stehen, das hängt dann von Unwägbarkeiten wie der Konjunktur oder den Entscheidungen in Firmenzentralen größerer Konzerne wie DASA oder Vulkan ab. In einer Studie zu der Frage, wie sehr die bremische Wirtschafts- und Technologieförderung die Ansiedlungs- und Expansionsbereitschaft der Unternehmen gefördert haben, sind die Fachleute im Wirtschaftsressort sehr vorsichtig. Bremens mittelständische Industrie ist nicht besonders technologisch innovativ, sondern im westdeutschen Vergleich „extrem unterdurchschnittlich“. Das haben die vielgelobten Anstrengungen der bremischen Technologieförderung in den letzten Jahren nicht ändern können, stellte die Bilanz von 10 Jahren Technologieförderung des Wirtschaftssenators im Dezember 1994 fest: Bewirkt werden konnte nur, daß die „Abkoppelung“ Bremens nicht weiter wuchs.

Was denn passieren müßte, damit die Technologieförderung deutlich mehr Effekte haben kann als in den vergangenen Jahren, darüber schweigen sich die Experten des Ressorts aus. Die gesamte Lage scheint diesem ehrgeizigen Ziel nicht günstig: Waren bisher die niedrigen Löhne ein Argument, das für Bremen sprechen konnte, so gilt dies mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs nicht mehr. Zudem sind die Subventionierungs-Bedingungen in den neuen Bundesländern weitaus besser als die in Bremen, was sich schon im Schiffbau-Bereich niederschlägt. Da hilft es nicht einmal, daß der Konzernsitz des Vulkan in Bremen ist.

In einer langen Liste haben die Wirtschafts- und Finanz-Behörden für die Koalionsberatungen zusammengestellt, was alles im Rahmen des Investitionssonderprogramms (ISP) investiert werden müßte, um wenigstens die Chance auf eine Stärkung der Wirtschaftskraft weiter offenzuhalten. 2,7 Milliarden wären danach erforderlich in dieser Legislaturperiode bis 1998, steht unter dem Strich. Verplanbare Mittel: 1,2 Milliarden. Der Hemelinger Tunnel würde einen großen Batzen davon verschlingen, ohne die Wirtschaftskraft absehbar zu steigern. Der Ausbau der Straßenbahnlinie 4 als Ersatz der Buslinien würde die Reparatur der Schwachhauser Heerstraße quasi „nebenbei“ mit Bundeszuschüssen ermöglichen, aber auch wenig Wirtschaftskraft hinzufügen. Untertunnelung der Martini-Straße, Georg-Bitter-Trasse – alle solchen Projekte wären auch dann nicht finanzierbar, wenn besser abschätzbar wäre, wieviel sie wirklich mittelfristig zur Wirtschaftskraft Bremens beitragen können.

Wenn die besseren Verkehrsbedingungen nicht nur das Wohnen im Umland attraktiver machen sollen, muß die Stadtplanung überlegen, wie sie bevorzugte Wohnlagen für „Eigenheimbau“ schaffen und das Wohnen in City-Nähe attraktiver machen kann - damit die Menschen gern in Bremen Steuern zahlen. K.W.

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