piwik no script img

Wohnlich gestaltete Luftschutzbunker

■ Die Dachbodenentrümpelungen lohnten sich: Eine Ausstellung zum Thema Kriegsende 1945 in Hellersdorf

Der Weg nach Hellersdorf ist weit, und wenn man endlich das plattenbautenumzingelte Heimatmuseum erreicht hat, ist es sehr wahrscheinlich, daß das Interesse an der 25. Berliner Ausstellung zum Kriegsende auf der S-Bahn- Strecke geblieben ist. Doch der Hellersdorfer Abschnitt auf dem Erinnerungsparcours, die erste Ausstellung in dem neuerrichteten, pyramidenähnlichen Glasbau belohnt die Mühe: Eine kurzweilige und spannende, ja sogar erheiternde Geschichtsstunde, für die die Hellers-, Mahls- und KaulsdorferInnen die Dachböden entrümpelt und ihre Erlebnisse erzählt haben.

Auf einer der Schautafeln wird folgende Episode berichtet: „Ich hatte einen wunderschönen Radioapparat mit einem Grammophon. Das haben die [Russen] mitgehen lassen. Dann, eines Tages, guck' ich, da geht ein Russe mit meinem Zylinder im Nachthemd und mit einem Krückstock. Das war auch meiner, denn ich hatte den Krückstock mit Stocknägeln von den Urlaubsreisen beschlagen. Und da ging der Russe durch den Mädewalder Weg, wo meine Wohnung war, spazieren.“

Derartige Erinnerungen werden mit knappen Informationstexten und Fotografien aus Privatbesitz kombiniert, um die Geschehnisse, Stimmungen und Probleme eines Berliner Vororts im Jahr 1945 aufzuzeigen. Gut, daß man die wenigen Themenabschnitte, zum Beispiel den Wiederaufbau der Bezirksverwaltung und der Häuser (in dieser Reihenfolge), die Anfänge der politischen Parteien in Berlin, die Lebensmittelversorgung, das Schicksal der Hellersdorfer Juden und des Retters Pfarrer Heinrich Grüber sowie die russische Besatzungszeit, durchaus im legeren Habit des unbekannten russischen Soldaten bewältigen könnte.

Der Spaziergang führte dann auch in den Keller des Museums, wo ein Luftschutzraum installiert wurde, mit einem Luftschutzbett, das einem Vorratsständer für Kartoffeln gleicht, einem Kanonenofen und der zynischen „Weisung“ an der Wand: „Richtet Eure Luftschutzräume wohnlich ein.“

Daß die Kunst des Improvisierens rasch ihre MeisterInnen fand – die Exponate beweisen es. Das Tanzkleid aus Fallschirmseide war ein Blickfang bei Festen der Gaststätte Tegelitz. Ein Stück Kohle kostete der Eintritt, und die Jungs mit Wurststullen hatten die besten Chancen bei den Mädchen, erinnert sich eine Balldame.

Hamsterrucksäcke wurden selbst genäht, die Teddybären selbst gestopft, und die Mitglieder des „Revolutionskomitees Freies Deutschland“ stellten sich ihre handgeschriebenen Ausweise in den letzten Kriegstagen selber aus. Ein selbstgeschnitzter Stempel ersetzte Amt und Siegel.

Den Krückstock als Stütze könnte man bei der letzten Vitrine gut gebrauchen. Dort liegt das Diktatheft eines braven Schülers, der seine Orthographie an dem Satz üben mußte: „Vor uns liegt Deutschland, in uns marschiert Deutschland, und hinter uns kommt Deutschland.“ Was im Jahr 1945 den HellersdorferInnen tatsächlich bevorstand und was hinter ihnen lag – diese Ausstellung vermittelt en passant einen bleibenden Eindruck davon Stephan Schurr

Die Ausstellung „...ich habe keinen Frühling so genossen“ ist noch bis 30. 9. zu sehen, Mittwoch bis Sonntag jeweils 14–18 Uhr, Heimatmuseum Hellersdorf, Jenaer Straße 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen