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Ein Hauch von Blinzeln

■ „A Missing Person and Some Objets Trouvés“ – Lullaby von Lindy Annis und Marie Goyette im Hebbel-Theater

Ganz schön spitzfindig gab sich die zitty mit ihrer Mutmaßung, Lindy Annis habe ihre Premiere der „Some Objets Trouvés“–Performance absichtlich auf die kürzeste Nacht des Jahres gelegt – so lasse sich bestimmt mehr finden. Aber das hat Lindy Annis doch gar nicht nötig!

Im Stockfinstern hätte ihre Performance spielen können, es hätte fast gar nichts ausgemacht. Freilich hätten wir – das Publikum – auf den Anblick zweier schöner, gertenschlanker Damen verzichten müssen: Die eine mit einem prächtigen Lockenkopf am Klavier sitzend, die andere vorwiegend auf dem Sofa liegend. Doch die Fundstücke der beiden blieben unsichtbar, sie waren rein akustischer Natur.

Ab und zu mal ein verstohlener Blick, vereinzelt ein Gang zur Tür mit der Aufschrift „Scheinwerfer“, zwei oder drei Abgänge durch selbige, ein dreimaliges, heftiges Türknallen, das war's, was die Performance an Visuellem zu bieten hatte. Noch strenger, noch reduzierter also gibt sich die New Yorkerin und Wahlberlinerin nun.

Bisher begleitete sie ihre hintergründigen Alltagsbeobachtungen und Shortstories mit monotonen Handlungen und gezirkelten Gängen, Bewegung und Redefluß schwebten einträchtig nebeneinander her. Gewiß kein Aktionsknüller. Der Unterhaltungswert lag eher in ihrem leisen und intellektuellen Humor.

Nun aber Reduktion total – selbst das hintergründige Augenzwinkern, das ihre vorgetragenen Beobachtungen stets begleiteten, hat sich in einen Hauch von Blinzeln verwandelt.

Bei größter Bewunderung für subtile Anliegen: leicht macht es Annis ihrem Publikum im stickigen Foyer hoch oben im zweiten Stock des Hebbel-Theaters nicht. Für ihre Detektivgeschichte hat sich Annis die aus Montreal stammende Pianistin und Komponistin Marie Goyette zur Seite geholt. So beiläufig wie Andrew Vachss eröffnet Annis ihre Geschichte, während Goyette eine Hitparade bekanntester Läufe und Tremoli der klassischen Musik aneinanderklebt, konterkariert durch getragene Akkordstrecken. Detektiv Annis befragt nun via Mikrophon vom Sofa aus die Pianistin eines zwielichtigen Etablissements nach dem Verbleib einer gewissen Dame.

Ruhig plätschern die Töne vor sich hin, ab und an, bei einer heiklen Frage, ein kurzes Stocken, ein Aufbäumen der Melodie, dann wieder eine monotone musikalische Untermalung und eine dezent ausweichende Antwort. Die Pianistin weiß offensichtlich mehr als sie sagen will, vermittelt die Komposition. Eine gute Stunde geht das so weiter, vereinzelt werden gepflegt amüsante Bemerkungen eingestreut.

Am Ende jedoch: Keine „Objets Trouvés“ in meinem Gehirn, sondern jede Menge „missing links“. Eine sogenannte Berufskrankheit hat mich zum ersten Mal bei der Ausübung meines Berufs gehindert. Gewaltig war der Sog, die Performance geriet zum Lullaby-Song, die Lider wurden unendlich schwer. Petra Brändle

Weitere Vorstellungen am 24./25. 6., 22.30 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.

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