: Die Frankfurter Frauen definieren die Zukunft
■ Im Epilog zu einer bereits erledigten Geschichte demonstriert DFB-Pokalsieger FSV Frankfurt beim 3:1 die endgültige Überwindung des alten Prinzips TSV Siegen
Berlin (taz) – Einmal, als schon alles zu spät war, schnappte sich Silvia Neid den Ball, ging vorbei an Gegenspielerin Pohlmann, umkurvte auch Britta Unsleber und spielte den Ball flach und hart in die Mitte des Strafraums. Wo gut gestaffelt die Frankfurterinnen waren, doch keine aus Siegen, die etwas vermocht hätte. Auf der anderen Seite hatte kurz zuvor Sandra Smisek raffiniert weitergeleitet, hatte Dagmar Pohlmann Übersicht gehabt, und hatte Gaby König entschlossen aus der Drehung den Ball ins Tor geschossen. Es war das 2:1 für den FSV Frankfurt: Dreimal hatten sich Qualitäten addiert, was zu einem solchen Überschuß führte, gegenüber jener Summe, die den Siegenerinnen zur Verfügung stand, daß ein Treffer unausweichlich war. Am Ende stand es 3:1 und war auch dies wieder kein Spiel, daß die Zuseher hinwegschweben hätte lassen, doch das hat kein Finale und tut Frauenfußball grundsätzlich nicht.
Bedeutung hat es dennoch, und zwar nicht zu unterschätzende: Es handelte sich um den Epilog zu einem eigentlich schon erledigten Fall. Der TSV Siegen, fünfmal Pokalsieger, hat den deutschen Vereinsfußball lange Jahre dominiert. Ganz simpel: Weil dort die besten Spielerinnen waren. Die, hatte damals Trainer Gerd Neuser gesagt, „will ich spielen sehen“. Mehr brauchte es nicht. Und die Allerbesten, Neid und Freundin Fitschen führten dann alleine oder im Duett die Entscheidung herbei. Nun ist in Siegen eh nichts mehr, wie es war, kümmert sich Neuser längst wieder hauptsächlich um seine Blumen, und sagt Trainer Dieter Richard zu Recht, daß sein Team „die Ausfälle von Fitschen und Kubat“, der Mittelstürmerin, „nicht kompensieren konnte“. Und doch war am Samstag zu sehen, wie allein die Nationalkapitänin Neid (31) noch das alte Prinzip verkörpert. Im Nationalteam hat sie für sich den Umbruch längst vollzogen, dort ist sie ein Teil des Ganzen, bei Siegen hätte sie alles erledigen sollen. Nach beschriebener Flanke „wäre die Chance zur Verlängerung gewesen“, mochte Neid glauben, doch sah auch sie, was jede sah: „Frankfurt war besser.“
Frankfurt war schlecht. Die WM hat die Automatismen der Vorwärtsbewegung ins Versuchsstadium zurückgeworfen, es fehlte, sagte Trainer Jürgen Strödter, „ein bißchen an der Feinabstimmung“. Gereicht hat es dennoch locker, für das Team, daß seit Herbst 1993 nur ein einziges Mal verloren hat. Jetzt sind die nationalen Gegner ausgegangen, muß Strödter die Seinen mit Hinweis auf deren großes Ziel Atlanta zur täglichen Fron bewegen. Und während die anderen Vereine darben, kann Strödter auf der Abteilungsinsel im durchaus nicht liquiden FSV mit den Pokal- Geldern von DFB und Fernsehen weiterarbeiten. „Wir übernachten nicht mehr in Jugendherbergen“, sagt er und hat also Samstag nacht ein „Riesenbankett“ im Neuköllner Hotel auffahren lassen.
Der vierte Pokalgewinn mag Grund zum Feiern gewesen sein, doch ist der heute schon Geschichte. Was bleibt, ist, daß der Sportgeschäftbetreiber Strödter und jenes Team, daß er zusammengestellt hat, in seinen zwei Frankfurter Jahren den Frauenfußball auf eine neue Qualitätsstufe gehoben hat. „Hervorragende Einzelspieler“ hat Siegens Trainer Richard gesehen, das hatte frau dort früher auch. Doch zudem: „Im taktischen Bereich allen anderen Teams überlegen.“ Das ist neu, war vor kurzem noch überflüssig. Wer die besseren Spielerinnen hatte, gewann. Jetzt hat Frankfurt die besseren, doch nicht (allein) deshalb gewinnen sie, sondern weil sie die bessere Frauschaft stellen. Besser: die besser funktionierende. Das Prinzip FSV: Die Frauen können viel, brauchen aber nicht alles zu tun und dürfen es auch nicht. „Prinz“, sagt Strödter, würde bei mir nie am eigenen Strafraum die Bälle rausköpfen müssen.“ Das mußte sie unlängst in Schweden, weswegen die Torschützin zum 1:0 nach einer Stunde „die WM in den Knochen“ spürte. Prinz ist die neue Kraft, die Neid ablöst und exemplarisch zeigt, wie der FSV Frankfurt den Frauenfußball neu definiert, indem er dessen vormalige Form überwunden hat.
Wie selbstverständlich stapfte Spielführerin Gaby König die Treppen des Berliner Olympiastadions hoch, um den Pokal entgegenzunehmen. Und genauso selbstsicher geht nun der Trainer ein neues Ziel an: Überwindung des in Frankfurt längst nicht mehr geschätzten DFB-Trainers Gero Bisanz. Der Mann gehört zur Geschichte des Sports, kennt aber, sagt man, die Frauenbundesliga wenig. Jürgen Strödter habe er, als er dann doch mal in Frankfurt war, noch vor einem Jahr für den Platzwart gehalten. Sagt Strödter. Und der Mann, dessen Frauen dem Fußball Zukunft gegeben haben, sagt auch: „Wir müssen jetzt Druck machen. Sonst haben wir das Problem in Atlanta noch.“ pu
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