Feldjäger schützen vor Fallschirmjägern

Eine Gruppe rechter Schläger terrorisiert das friedliche Dorf Harpstedt bei Bremen / Sie haben alle dieselbe Adresse: das Fallschirmpanzerabwehrbataillon in Wildeshausen  ■ Aus Bremen Jochen Grabler

In dem friedlichen Nest Harpstedt vor den Toren Bremens ließ es sich bisher ganz ruhig leben. Jetzt ist es mit dem Frieden vorbei. Seit fast zwei Wochen wird das Städtchen Abend für Abend von einem Trupp Skinheads terrorisiert, die den Marktplatz unsicher machen: Besäufnisse und Anmache, gegröltes braundeutsches Liedgut und Hitlerreden aus dem Auto-Kassettenrecorder. Am letzten Mittwoch ging die Gruppe ein paar Schritte weiter: Sie griffen Jugendliche an, schlugen drei junge Männer zusammen und demolierten eine Schaufensterscheibe. Die Polizei mußte nicht lange nach den Tätern suchen. Sie kommen aus dem nahen Wildeshausen und haben alle dieselbe Adresse: Fallschirmpanzerabwehrbataillon 272, Wittekind- Kaserne.

Die Harpstedter Dorfjugend, die sich schon seit jeher nach Feierabend auf dem Marktplatz versammelt, einen trinkt und quatscht, traute ihren Augen nicht, als der Trupp von sechs bis acht jungen Männern zum ersten Mal auftauchte – mit kahlrasierten Schädeln, Bomberjacken und Springerstiefeln. „Einer hatte Hosenträger, wo die Reichskriegsflagge draufgedruckt ist, und ein anderer hatte das Wort ,Skinhead‘ auf die Hand tätowiert“, erzählt ein Harpstedter Jugendlicher. Als die Gang dann auch noch alte „Böhse Onkelz“- Lieder aus den Autoboxen dröhnen ließ, Nazi-Lieder schmetterte, den Arm reckte und jeden Neuankömmling mit „Sieg Heil!“-Rufen begrüßte, da war auch dem letzten klar, daß das nicht die Kirchenjugend war. Die Sprüche, die von der Gruppe vor allem gegen die Harpstedter Jugendlichen losgelassen wurden, waren auch entsprechend, sagen die: „Zu einem Mädchen haben die gesagt, ,ey, du rothaarige Schlampe, geh zu deinen Zeckenfreunden‘.“ „Linke Zecken“, das sei sowieso das Lieblingswort gewesen, „dabei ist keiner von uns Autonomer oder so was“.

Die Jugendlichen waren ratlos: „Wir sind alle Pazifisten. Und die sind im Nahkampf ausgebildet. Was sollen wir da machen?“ Die BürgerInnen sahen's mit Schrecken, trauten sich aber auch nicht, irgend etwas zu unternehmen. „Am Mittwoch abend hatte ich eine Sitzung in einer Gaststätte am Markt“, erzählt der Harpstedter Gemeinderat Uwe Cordes. „Aber die Leute hatten Angst und sind denen lieber aus dem Weg gegangen.“ Noch bevor Cordes die Initiative ergreifen konnte, schlug der Trupp dann auch schon los: Ein junger Mann wurde buchstäblich quer über die Straße geprügelt, er konnte sich gerade noch in eine Kneipe flüchten, die sofort von den Gästen gegen die Angreifer verrammelt wurde.

Ein anderer geriet gleich in Verdacht: „He, du hast doch bestimmt mit der Polizei telefoniert“, hätten die Skins gerufen. Nach dem ersten Schlag konnte der junge Mann entkommen. Erst eine Dreiviertelstunde nach den Angriffen traf die Polizei ein. Pures Glück, daß sich noch einige der Täter auf dem Marktplatz herumtrieben. Die Beamten nahmen die Personalien der Angreifer auf – und erlebten eine Überraschung, die für die Jugendlichen längst keine mehr war: die Skins kamen alle aus der Kaserne.

Jetzt haben sich die Jugendlichen an einen Anwalt gewandt, und der hat Strafanzeige gestellt. Allerdings nicht wegen Körperverletzung, sondern wegen der Verwendung nationalsozialistischer Symbole. Der Grund: Angst. „Die Jugendlichen wollen nicht, daß nur die drei auf der Anzeige stehen, die geschlagen worden sind“, sagt der Anwalt Jörg Meyer-Anderson. Außerdem hat er einen Brief an den Wildeshausener Bataillonskommandanten Thomas Rosche geschrieben. Der solle seinen Soldaten verbieten, den Harpstedter Marktplatz zu betreten. Rosche schrieb postwendend zurück: „Das Verbot des Betretens des Marktplatzes kann ich leider nicht aussprechen, da es meine Befehlsbefugnisse gegenüber Soldaten außerhalb des Dienstes überschreitet.“ Aber er könne verbieten, daß sich seine Soldaten dort in Gruppen treffen, und das habe er auch getan.

Die ersten Ermittlungen hätten ergeben, daß es sich bei der Gruppe in der „ganz großen Mehrheit“ um frisch eingezogene Rekruten gehandelt habe, sagte Rosche zur taz. Soll heißen: Mindestens ein Dienstgrad war doch dabei. Rosche: „Das wird gnadenlos aufgeklärt. Uns ist das ausgesprochen unangenehm.“ Derweil wird die Bundeswehr in Harpstedt schon auf andere Weise tätig, um den Schaden in Grenzen zu halten: Am Wochenende patrouillierten die Feldjäger rund um die Uhr auf dem Marktplatz und beschützten die HarpstedterInnen vor ihren Kollegen.