■ Nach den Massenfestnahmen in Frankfurt (Oder): Wie polizeiliche Logik politischen Irrsinn gebiert
Ein Land, dessen Militär- und Sicherheitskräfte schon einmal Bürger eines anderen, von ihm besetzten Landes nach Belieben einfingen, festnahmen, „konzentrierten“, folterten und ermordeten, täte gut daran, jede, aber auch jede Maßnahme zu vermeiden, die Erinnerungen an diese Praktiken wachrufen könnte. Die Massenarretierung polnischer Staatsbürger letztes Wochenende in Frankfurt (Oder), ihr sich bis zu 12 Stunden hinziehender Zwangsaufenthalt in einem Lagerhaus, der Einsatz von Hundestaffeln des Bundesgrenzschutzes, die Tatsache, daß die Festgenommenen nicht verpflegt wurden, nicht telefonieren, keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen konnten – all dies ist unverzeihlich, eine Schande, ein Anschlag auf die polnisch-deutschen Beziehungen.
Formal waren die deutschen Behörden sicher berechtigt, die Razzia durchzuführen. Handelte es sich bei der Verteilungsaktion, zu der sich die PolInnen in Frankfurt eingefunden hatten, doch um nicht genehmigte, mithin illegale Arbeit. Aber die polnischen Arbeitskräfte waren im benachbarten Slubice per Handzettel und unter Angabe von Kontakttelefonen aufgefordert worden, sich in dem Lagerhaus zu melden, mußten also subjektiv davon ausgehen, daß die Beschäftigung Rechtens sei. Dies wiederum war den deutschen Behörden bekannt. Sie verhielten sich wie agents provocateurs. Sie bauten eine Falle auf.
Auch im nachhinein können Polizei und Staatsanwaltschaft nichts Bedenkliches an ihrer Handlungsweise entdecken. Der Bürgermeister in Frankfurt hat sich beim Kollegen in Slubice entschuldigt. Wofür eigentlich, wenn alles in Ordnung war? Während ein Aufschrei durch die polnische Presse ging, wurde in der Bundesrepublik – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Affäre unter der Rubrik Kurzmeldungen abgehakt, wenn man es nicht sogar vorzog, sie ganz zu verschweigen. Mag sein, daß mancheR der festgenommenen PolInnen gegenüber den Medien übertrieb, daß manche Stellungnahmen in polnischen Zeitungen nationalistische Ressentiments bedienten. Statt sich jedoch hierüber zu ereifern, sollten sich die deutschen Verantwortlichen lieber der Frage stellen, warum die Menschen jenseits der Oder sofort bereit sind, ihnen faschistische Methoden zu unterstellen.
Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft hielten es für nötig, die polnische Vertretung in Berlin von der Massenfestnahme zu unterrichten, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wären. Schuld an diesem Versäumnis war nicht nur das – zufällige – „Fehlverhalten“ irgendeines Polizeibeamten. Behilft sich auf städtischer Ebene die Polizei diesseits und jenseits der Oder mit improvisierten Kontakten und ad hoc betriebenem Datenaustausch, so herrscht in den oberen Stockwerken Sprachlosigkeit. Zwischen den für Polizeiangelegenheiten zuständigen Stellen des Landes Brandenburg und den entsprechenden Leitungen der grenznahen Wojwodschaften existieren bis heute keine regulären, das heißt institutionalisierten Beziehungen, die den Sicherheitskomplex regeln. Der Freundschaftsvertrag zwischen Polen und Deutschland ist, was das Land Brandenburg anbelangt, offenbar nur für die Software geeignet, nicht für den „harten Kern“, für das polizeilich-hoheitliche Handeln.
Die Euroregion „Viadrina“, die gleichnamige Universität in Frankfurt, an der Hunderte von PolInnen studieren, Dutzende von Verträgen, oft bewundernswerte gesellschaftliche Intitiativen – sie alle haben der Odergrenze bis jetzt nichts von ihrem harten, abweisenden Charakter nehmen können. Nicht nur die Sprachbarriere, nicht nur überkommene Urteile und Vorurteile wirken gegen die Verständigung. Es ist die Asymmetrie des Wohlstands, die alle anderen Asymmetrien nach sich zieht. Und der „schwarze“ Arbeitsmarkt in Frankfurt erweist sich als der stärkste aller Vorurteilsproduzenten. Statt gigantomanischer Polizeieinsätze ist eine flexible Regelung für Arbeitserlaubnisse auf kommunaler Ebene angesagt. Die Mindestforderung aber, deren Erfüllung die deutsche Seite den malträtierten Polen schuldig ist, muß lauten: Gegen keinen der Festgenommenen darf ein Einreiseverbot in die Bundesrepublik ausgesprochen
werden! Christian Semler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen