Seitenstich
: Mit der Drahtbürste gespult

■ Eine kleine Grabrede aufs „Schachtelkino“ und die ewigen Filmverwurster vom Hauptbahnhof

Der Autor konnte sich eines hämischen Grinsens nicht erwehren, als ihn neulich die Nachricht erreichte, die ersten polynesischen Einbaumsegler seien auf dem Weg in den Keller des Überseemuseums. Denn das bedeutet: Bald ist Platz fürs Cinemaxx. Und das bedeutet: Konkurrenz und damit ein dauerhafter Denkzettel für die Filmverwurster am Hauptbahnhof. Im übrigen mit Gültigkeit für alle Filmtheater, die den zahlenden Gast als zahlendes Übel betrachten oder besser: gar nicht. Das geht dann – Thema mit Variationen – zum Beispiel so: Der Besucher, getreu nach der Devise „Mach Dir ein paar schöne Stunden, geh' ins Kino“, folgt schmucklosen Fluren, begegnet angegammelten Bruce-Willis-Plakaten, spürt beim Betreten der „Schachtel“ seine Laune sinken und blitzartig die Frage sich aufdrängen, ob er irrtümlich im Porno-Kino gelandet ist. Verschlissene Sessel ächzen bei Belastung; Kaugummis, leere Bierflaschen, Popcorn und andere Reste, um deren Identifizierung sich niemand reißt, verleihen dem ausgemusterten Teppichboden neue Struktur.

Geschenkt! Kino soll man sehen! Und zu sehen gibt's dann beispielsweise einen leinwandlangen Kratzer in Original-Filmlänge, der in unschöner Regelmäßigkeit vom Geschehen auf der Leinwand ablenkt. Sicher ein peinliches Versehen des Vorführers, als er den Film auf dem Umroller mit der Drahtbürste zurückspulte. Zu sehen ist auch, wie die Leinwand in einer milchigen Brühe versinkt, und wie Marlee Matlins schönes Gesicht sowie manch aufwendig fotografierte Skyline dank der Kinooptik zu verwaschenen Urlaubs-Schnappschüssen werden. Lichtstreuende Umlenkspiegel, falsche Projektionslampe? Sicher ein peinliches Versehen des Vorführers, der fieberhaft am guten Bild bastelt!

Kein Gedanke. Der Mann ist gar nicht am Arbeitsplatz. Vielmehr dringen aus einem monitorbestückten Nebenraum Kebab-Schwaden. Da sitzt der Mann, ins Plaudern vertieft. Bitte nicht stören, könnte draußen dranstehen, warum auch: Gestört hat sich nämlich noch niemand an der miesen Qualität, heißt es. Tief im Innern fürchtet der enttäuschte Kinogänger: Es ist wohl so.

Es leben also TV und Cinemaxx! Dabei hatte sich der Autor geschworen, den Lichtspielhaus-Vernichtern nie zu huldigen. Jetzt, als letzte Drohung, ist es soweit. Und komme ihm niemand mit den Hungerlöhnen in der Kino-Branche, die jeden guten Vorführer-Willen lähmen! Sonst muß er andere Erlebnisse preisgeben. Etwa die, wo die Angestellten fast zu faul waren, nach der Vorstellung die Toiletten zu öffnen. Oder die, als es einmal keine Süßigkeiten gab, weil sie „normalerweise“ nicht da verkauft werden, wo sie ausgestellt sind. Egal, beschwert hat sich noch keiner. Doch den Kritiker erfaßt die Wut und ein fatalistisch-grobes Lachen, wenn er an die Unsummen Geld und Schweiß denkt, die in aufwendig produzierte Bilder investiert werden – die auf der Leinwand kaum wiederzuerkennen sind.

Alexander Musik