„Heike hatte einen Bleifuß“

■ Die Deutsche Leichtathletik und ihr Publikum in Bremen – „wie eine große Familie“

„Mann, ist die krötig heute“, schimpft der ältere Herr beim Verlassen des Weserstadions. Er deutet enttäuscht zur Hochsprung-Weltmeisterin und Olympiasiegerin Heike Henkel. „Die hat heute keine Lust! Und ich jetzt auch nicht mehr“, grummelt der Fan noch und schon ist er verschwunden.

Für einen anderen Henkel-Verehrer haben sich die 95. Deutschen Leichtathletikmeisterschaften am Wochenende in Bremen trotzdem gelohnt. „Diese Frau habe ich schon ewig verehrt“, erklärt der aus Hannover angereiste Erich Neumerker. „Ich habe einen ganzen Film mit ihr vollgeknipst und sah genau, daß sie heute einen Bleifuß hatte. Heike soll nicht traurig sein, daß sie nur Zweite wurde. Sie hat doch ihre Familie und ein Kind. Die Astafei ist noch jung und kann bestimmt noch höher springen als heute.“ Im Sport sei das alles nicht so schlimm, weiß Neumerker, der seit 20 Jahren zu Leichtathletikmeisterschaften tourt und Vergleiche ziehen kann: Die BremerInnen könnten „wohl ein bißchen munterer sein“, meint der erfahrenene Stadion-Tourist und deutet auf die vielen leeren Sitzreihen. „Die interessieren sich wohl nur für Werder und wissen nicht, was ihnen hier entgeht. Also manchmal fließen bei mir die Tränen, wenn ich so gute Leistungen sehe.“

In der gefüllten Ost-Kurve, wo sich Sportgenuß und Sonnenbad wunderbar vereinen lassen, begleitet Larissa den Auftritt der Mainzerin Alina Astafei mit einem Trommelwirbel. Die persönliche Favoritin darf sich in jedem Jahr der Unterstützung Larissas sicher sein. „Wir fahren immer mit dem ganzen Verein zur Deutschen“, erkärt die 16jährige Staffelläuferin aus Stuttgart und bekräftigt damit den Eindruck, daß der größte Teil des Publikums aus Aktiven, Vereins- und Familienmitgliedern besteht.

„Die Leichtathletik ist halt wie eine große Familie“, weiß der Mannheimer Günter Gronau, der als Vereins-Masseur dabei ist. „Sie sehen fast überall nur Sportler oder ehemalige Sportler. Was sie kaum sehen sind Bremer.“ Woran das liegt? „Naja. Am Fernseher kriegen sie in zwei Stunden alle Higlights geboten; hier geht es viel gemächlicher zu.“

So sieht es auch Ordner Michael Grosenick. Bis zu 40.000 ZuschauerInnen bei Werder-Spielen ist er gewohnt. „Dann gibts zwar mehr zu tun, trotzdem macht es mehr Spaß, wenn die Bude voll ist.“ Er habe eben gerne „was mit Menschen zu tun, auch wenn manche Fußballfans ganz schön Ärger machen können.“

Heute sind es allerdings solche Fans wie Horst Wente. Der 60jährige ist mit zehn „Kollegen“ aus einem Hamelner Sportverein angereist. Seit 40 Jahren läßt er sich keine Deutsche Meisterschaft entgehen. Ein „bißchen ärgerlich“ sei er schon auf die Ordner, die ihn nicht in einen Block lassen, von dem die Sicht besser ist. „Ist aber alles korrekt“, meint der ehemalige Kreismeister auf der Mittelstrecke: „Die Action ist in Ordnung.“

André Hesel