Gordischer Knoten in Bremen gesichtet

■ Die Berufung des Domkantors Helbich auf eine C4-Professur in Saarbrücken provoziert unlösbare Konflikte zwischen der evangelischen Kirche, den Musikhochschulen Bremen und Saarbrücken– und dem Kandidaten

Das darf doch nicht wahr sein: Das Verbleiben von Domkantor Wolfgang Helbich in Bremen soll daran scheitern, daß die evangelische Kirche nicht willens ist, sein Gehalt von der Besoldungsstufe A 14 auf A 15 zu erhöhen? „Es geht doch nicht um Geld, das sind ohnehin nur 300 Mark. Es geht um ein Prinzip: Niemand in der Kirche darf mehr verdienen als die Pfarrer. Wirklich niemand“, sagt Johann Daniel Noltenius, Kirchenjurist und Kanzleivorsteher. Auch nicht, wenn gewachsene Strukturen – in diesem Falle das weit über Bremen hinausgehende künstlerische Renommee des Bremer Dom-Chores – eine Flexibilität erfordern, die andere, vielleicht auch noch nie dagewesene Lösungen verlangen? „Auch dann nicht, Helbich kann durch seine CDs und Konzerte und sein Alsfelder Ensemble und was da alles so ist dazuverdienen. Er kriegt von uns jede Genehmigung für Nebentätigkeiten“.

Um was geht es? Wolfgang Helbich, seit 1976 Domkantor, ist im Februar 1993 auf eine C 4-Professur an die Musikhochschule Saarbrücken berufen worden. Verlockend für ihn ist nur die finanzielle Seite, denn er will in Bremen bleiben, „sein“ Domchor ist in der Tat ein einzigartiges „Instrument“ geworden, Vergleichbares aufzubauen würde Jahrzehnte dauern. Auch aus dem Dom-Chor ist zu hören: „Wenn er geht, sind wir alle weg!“ Also hat Helbich erstmal zu jonglieren versucht: zwar nach Saarbrücken zu gehen, aber trotzdem den Dom-Chor zu behalten. Das jedoch akzeptiert weder das Kultusministerium des Saarlandes noch die bremische Kirche. Denn in Saarbrücken soll er neben einem Hochschulchor die Evangelische „Singgemeinschaft an der Saar“ übernehmen.

Für den Zauderer Helbich eine schwere Entscheidung. Ein Jahr hat ihm „gegen den Rat aller Kollegen“ (Helbich) der Dom freigegeben, um die Lehrtätigkeit in Saarbrücken „auszuprobieren“, „aber er hat wohl selbst eingesehen, daß das nicht geht“ (Noltenius). Das Jahr läuft im Oktober ab, im Frühjahr hat der Dom seine Entscheidung erwartet. Aber Helbich weiß immer noch nicht, wartet vielleicht nach der grandiosen Leistung der Aufführung des Berlioz'schen Requiem auf Wunder von irgendwoher.

Es wird noch komplizierter, wenn jetzt eine dritte Komponente hinzugekommen ist: Auch die hiesige Musikhochschule sucht einen Professor für Chorleitung – hier nur C2 –, der zur Hälfte im Neuen Institut für Musikpädagogik tätig sein soll (also Lehramtsausbildung) und zur anderen Hälfte im Fachbereich Musik in der Kirchenmusik. Helbich hat sich beworben, steht auf der Liste der sechs eingeladenen Kandidaten und will auch hier seinen Dom-Chor behalten. Fachbereichssprecher Hans Joachim Feilke meint: „Das geht überhaupt nicht. Diese Doppelbesetzung von Stellen ist einfach unmoralisch, und wie will man bei 18 Stunden Unterricht eigentlich einen zweiten Job verantwortlich machen?“ Auch Helbichs Vorschlag für eine halbe Stelle wird abgelehnt, was wegen der völlig unterschiedlichen Ausbildungen auf Lehramt und Kirchenmusik sogar sinnvoll wäre. Der Leiter der autonomen Berufungskommission für diese Chorprofessur Günther Kleinen war leider nicht zu erreichen.

Helbich will sich nicht als einfacher Bewerber verstanden wissen. Er hat erklärt, daß er zur Präsentation (Vordirigieren und Gespräch) nicht erscheinen wird. Er könne ja wohl davon ausgehen, daß er in Bremen bekannt sei. Daraufhin hat man ihn aus der Berufungsliste gestrichen, allerdings laufen Gerüchte durch die Stadt, er habe zurückgezogen. „Das habe ich keineswegs. Ich habe nur gesagt, ich werde mich nicht vorstellen“. „Dieses Ansinnen wird noch ein Nachspiel haben“, so Hans Joachim Kluge, ehemaliges Mitglied der Berufungskommission und rühriger Leiter und „Zusammenhalter“ der Kammer-Sinfonie Bremen: Das Orchester aus Nachwuchsmusikern hat Helbich 1988 gegründet und zu überzeugender Kompetenz aufgebaut. Besonders pikant ist die Bedingung der Hochschule vor dem Hintergrund, daß Helbich hier bereits seit zehn Jahren als Lehrbeauftragter für die Ausbildung der Kirchenmusiker zuständig ist. Priorität haben in deutschen Institutionen immer die Formalitäten.

So stehen sich die Parteien gegenüber. Helbich: „Alle sagen, ich soll bleiben, aber keiner will was tun“. „Er hat Privilegien, die niemand hat. Er verdient eine Stufe mehr als alle seine Kollegen, er ist beamtet, alle anderen sind angestellt, und er kann doch machen, was er will“, ist das letzte Wort von Noltenius. Also will Kluge was tun: Er ist dabei, einen Förder-Verein zu gründen, um das Geld für Wolfgang Helbich aufstocken zu können.

In der Tat: Die Musikhochschule Saarbrücken kann beim besten Willen nicht zur Beibehaltung des Dom-Chores „Ja“ sagen. Auch die bremische Kirche könnte dies völlig unabhängig von der Gehaltsfrage nicht zulassen, denn die Leitung des Dom-Chores obliegt dem dortigen Kirchenmusiker, der Helbich ja dann nicht mehr wäre. Und die Bremer Musikhochschule kann von der Sachlage her die Doppelbesetzung auch nicht zulassen.

Ein für alle unlösbarer Konflikt also, jede Einscheidung ist zugleich auch eine falsche. Das Saarland, die bremische Kirche und die bremische Musikhochschule habenihre Bedingungen gestellt und entschieden: keine Kombinationen möglich. Nun ist es an Helbich, den gordischen Knoten durchzuhauen: Er hat es schwer, seine innere und inhaltliche Entscheidung für den Bremer Dom-Chor auch offiziell umzusetzen: „Ich bin dann so blöd wie alle anderen Musiker auch: Wir arbeiten allein für die Sache.“

Ute Schalz-Laurenze