Die Strafzeit für Contreras läuft

■ Der Fall des Ex-Geheimdienstchefs löst neue Amnestie-Debatte in Chile aus

Santiago de Chile (taz) – Der Gendarmeriechef überbrachte den Haftbefehl persönlich und ungehindert. Seit letztem Donnerstag, so verkündete die chilenische Justiziministerin wenig später nicht ohne Stolz, verbüßt der ehemalige Chef des berüchtigten Geheimdienstes DINA seine siebenjährige Haftstrafe wegen Anstiftung zum Mord an dem ehemaligen Außenminister der Unidad Popular, Orlando Letelier, und seiner Sekretärin Ronnie Moffit 1976 in Washington.

Dabei hat sich für Manuel Contreras, der sich nach seiner Verurteilung Ende Mai am 13. Juni in das Marine-Hospital von Talcahuano absetzte, bislang wenig geändert. Nur stehen jetzt Gendarmen statt Waffenbrüder vor dem Krankenzimmer, in dem er sich unter anderem wegen Bluthochdruck und Leistenbruch behandeln läßt.

Ob der pensionierte General in Kürze in das speziell für verurteilte Militärs errichtete Sondergefängnis Punta Peuco übersiedeln muß, hängt von weiteren medizinischen Untersuchungen ab, die Krebstumore ausschließen sollen. Der für 50 Personen ausgelegte Knastneubau beherbergt bislang einzig Contreras ehemaligen Untergebenen, den Brigadier Pedro Espinoza, der dort seit zehn Tagen ein Dreiraum- Apartment bewohnt.

Mit der offiziellen Ingewahrsamnahme der ehemaligen Köpfe des pinochetistischen Repressionsapparates erklärte die Regierung eine „Tragikomödie“ für beendet, die vier Wochen lang die Öffentlichkeit in Rage gehalten hat. Nach dem Aushandeln einiger ehrerhaltender Maßnahmen überließ die Armeeführung erst Espinoza und schließlich Contreras den Gendarmen.

Contreras zu „opfern“ muß umso leichter gefallen sein, seit sich zeigt, daß der Fall entgegen den Hoffnungen von Menschenrechtsorganisationen keineswegs neuen Prozessen Auftrieb gibt. Entnervt vom jüngsten Eiertanz denken regierende Christdemokraten und Sozialisten über einen Weg nach, die schwelende Debatte um die Verantwortung für mehr als 2.000 Ermordete und Verschwundene ein für allemal zu beenden und das Verhältnis zu den Streitkräften zu „normalisieren“.

Mit einem Interpretationsgesetz soll die Selbstamnestie der Militärs von 1980 jetzt zur vollen juristischen Anwendung kommen. War es bislang nach Auffassung der Regierung notwendig, daß Gerichte den Tod der Diktaturopfer untersuchten und ihre Mörder benannten, bevor die Amnestie rechtsgültig wurde, so regt Ex-Präsident Aylwin nun an, sich mit der Ermittlung der Taten zu begnügen, ohne die Täter beim Namen zu nennen. Nach den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, so Aylwin, sei dies der realistische Weg, um wenigstens das Schicksal der Verschwundenen zu klären „und so einen Beitrag zur nationalen Versöhnung zu leisten.“ Thomas Nachtigall