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Totalverweigerer nach 84 Tagen auf freiem Fuß

■ Nach einer Besetzung des Truppendienstgerichts in Potsdam wurde Lothar Lehmann vorläufig freigelassen – mit der Maßgabe, sich „zu Hause aufzuhalten“

Berlin (taz) – Während gestern 43.700 junge Männer in Deutschland ihren Wehrdienst antreten mußten, ist der Totalverweigerer Lothar Lehmann vorerst in die Freiheit entlassen worden. 84 Tage lang saß der 23jährige in der Arrestzelle der Bundeswehrkaserne im brandenburgischen Blankenfelde, zwei Wochen davon war er im Hungerstreik. Die Pressestelle des IV. Bundeswehr-Corps teilte mit, daß Lehmann „bis auf weiteres die Ausübung des Dienstes" verboten werde – was ihn nicht sehr stören dürfte. Ganz frei ist Lehmann allerdings nicht – er wurde entlassen „mit der Maßgabe, sich zu Hause aufzuhalten“. Außerdem muß er nun damit rechnen, wegen Befehlsverweigerung und Fahnenflucht vor einem Amtsgericht angeklagt zu werden.

Bei einer Solidaritätsaktion für Lehmann hatten gestern vormittag rund 25 Sympathisanten der „Kampagne gegen Wehrdienst, Zwangsdienste und Militär“ für zwei Stunden das zuständige Truppendienstgericht der Bundeswehr in Potsdam besetzt. Nach der Aktion verzichtete die Bundeswehr darauf, eine weitere Arreststrafe gegen Lehmann zu verhängen. Gegen Mittag wurde das Gebäude von der Polizei geräumt. Dabei seien insgesamt 14 Personen festgenommen worden, sagte ein Sprecher des Potsdamer Polizeipräsidiums. Gegen alle Verhafteten werde wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung ermittelt, gegen drei wird außerdem wegen Diebstahls von Dokumenten ermittelt.

Lehmann lehnt aus politischen und Gewissensgründen nicht nur den Wehrdienst ab. Auch der Zivildienst sei keine wirkliche Kriegsdienstverweigerung, sagte er. Deshalb entschloß er sich für die konsequente Form der Verweigerung in der Kaserne selbst. Am 10. April meldete er sich bei der Dienststelle des Fernmeldebataillons 430 in Blankenfelde, weigerte sich jedoch, eine Uniform anzuziehen, sich die Haare schneiden zu lassen und seinen Dienst an der Waffe anzutreten. Daraufhin verhängte sein Kommandant einen Disziplinarrest von viermal 21 Tagen über den unbeugsamen jungen Mann. Dies ist die längste Arreststrafe, die von der Bundeswehr in der Geschichte der Bundesrepublik verhängt wurde.

Nach Aussage der „Kampagne“ sollte an Lehmann ein Exempel statuiert werden. Der Disziplinararrest habe einer „fast vollständigen Isolationshaft“ geglichen, erklärte der Unterstützer Matthias Mücke. Lehmann mußte sich 23 Stunden am Tag in seiner Zelle aufhalten, die Besuchszeiten waren stark eingeschränkt. Am Wochenende konnte nicht einmal mehr sein Anwalt telephonischen Kontakt mit seinem Mandanten aufnehmen. Der gesundheitliche Zustand Lehmanns sei nach all den Strapazen „nicht optimal", sagte Mücke. Ole Schulz

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