: Sag mir, wo die Wespen sind
■ Gibt es einen Sommer ohne Plagegeister? Nein, sagen Experten, nur die Ruhe vor dem Sturm: Nach einem kalten Frühjahr sollen die Insektenschwärme erst im August ausfliegen
Sommer in der Stadt – das heißt normalerweise für viele leidgeprüfte Menschen, die von Mücken ausgesaugt, von Wespen zerstochen oder von Schmeißfliegen geplagt werden, sich nur mit Moskitonetz, Insektenspray oder Fliegenpatsche ausgestattet an die frische Luft zu begeben. Doch statt Sumserei und Gebrumme macht sich in diesem Sommer eine wohltuende, aber beunruhigende Stille breit. Ungestört lassen sich sommerliche Mondscheinnächte, Eisdielenbesuche und Strandnachmittage genießen. Auch die Müllkörbe werden derzeit nicht von Insekten umschwärmt. Was ist los? Wo bleiben die Mücken und Wespen?
„Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm“, erklärt Norbert Knorr vom Forstamt Tegel. Wenn das Wetter jetzt warm und trocken bleibt, können die Schwärme der piksenden Insekten explosionsartig anschwirren. Mitte August wird es mit der Plage dann richtig losgehen, prophezeit Knorr. Seine Erklärung ist einfach: Der Frühling war zu kalt. Durch die Witterungsbedingungen in diesem Jahr hat sich die Entwicklung der Mücken- und Wespenlarven verzögert. Viele Insekteneier sind in den frostigen Aprilnächten erfroren. „Kälte und auch Schlagregen sind Gift für die Larven“, sagt Knorr.
Auch Johannes Schwarz, Beauftragter für Freilandartenschutz der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, bestätigt die Beobachtung. „Mückenlarven tummeln sich am liebsten in warmen, stehenden Gewässern wie Pfützen oder Tümpeln.“ Dort gedeihen sie am besten. Bei Kälte entwickeln sie sich langsamer, bei Frost ersticken sie regelrecht: Das Weibchen legt nämlich seine Eier im Wasser ab. Unter der Wasseroberfläche entwickeln die Larven ein körpereigenes Röhrchen, mit dem sie Sauerstoff aus der Luft ansaugen – wie beim Schnorcheln. Wenn das Wasser gefriert, geht ihnen buchstäblich die Luft aus.
Je wärmer, desto besser, das gilt auch für Wespen. „Die Königin legt ihre Eier in die Erde oder baut Nester aus Papierbrei, die sie aufhängt“, sagt Johannes Schwarz. Wenn aber die Larven nach einer Wärmeperiode geschlüpft sind, und dann wieder Kälte einsetzt, werde es kritisch für die Insekten. „Das wechselhafte Klima, wie wir es im Mai hatten, geht denen ganz schön an den Kragen“, erklärt der Artenschutzbeauftragte.
Die Verlierer dieses wetterbedingten Insektenmangels sind neben der Spraydosenindustrie jedenfalls die Vögel als das nächste Glied in der Nahrungskette. „Möglicherweise wird sich die Brut in diesem Jahr weniger entwickeln“, befürchtet Norbert Knorr. Silke Fokken
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen