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Liebe weniger null – kein Limit

Stoiker in eigener Sache: Bob Dylans Never Ending Tour auf Zwischenstation im Berliner Tempodrom  ■ Von Thomas Groß

Something is happening, but you don't know what it is ... Bob Dylan alle paar Jahre auf einer Bühne wiederzusehen, ist nicht nur eine schöne Gelegenheit, den Hausschatz an aus Dylan-Liedern extrahierten Spruchweisheiten erneut abzuprüfen, aus denen auch das eigene Leben (u. a., u. a.!) irgendwie zusammengerührt ist. Man darf sich zudem aufgefordert sehen, schon Tage im voraus mitzuweben an Gerüchten und deren Kindeskindern, an halb bis völlig unbewußten Kollektivvarianten dieser never-ending Story: Dylan sei unheimlich gut drauf zur Zeit, sehr folkig, er sei von berufenen Kundschaftern bei der Erprobung unerhörten Materials gesichtet worden. Nein, er habe gerade seine Band gefeuert, mache nur noch Hardrock, weil er von einem brennenden Dornbusch in der Nähe von Aschaffenburg so geheißen ward. Er sei heiß/kalt/gleichgültig/ausgebrannt/voller Energie. Er freue sich auf Berlin, das er so lange gemieden habe auf seinem Kreuzzug, nein, er wolle es strafen mit einem Anti-Christo-und-die-Welt-Konzert. Die hard – jetzt erst recht. Daß man sich dann fast ausschließlich mit Vertretern der Generationen Q, R, S, T, höchstens noch U und V in einem Zirkuszelt namens Tempodrom wiederfindet, wird dafür ebenso bereitwillig in Kauf genommen wie der notwendig damit einhergehende Verlust an sekundärem Hipness-Gewinn. Alterskohorte folgt auf Alterskohorte. Plötzlich steht Albrecht Metzger neben einem (remember: „Tschörmen Telewischn ...“), und der soll ja im richtigen Leben sehr nett sein.

Dylan hat die Band natürlich nicht gefeuert – auch wenn kein Mensch so genau weiß, wer das eigentlich ist, mit dem er da zusammenspielt. Vier Herren in Zylinderhüten und westernartigem Totengräberlook, klassische Rockbandbesetzung, vier glorreiche Handwerker, von irgendwoher zusammengepickt, erweitert bloß um eine wimmernde Steelgitarre. Dylan selbst im Kostüm eines mexikanischen Gutsherrn auf Brautschau: Goldlamé-Hemd, Seitenstreifen, Bordüren an Ärmeln und Taille. Und sagte kein einziges Wort. Und sang bloß, wie es so seine Art ist. Und versuchte sogar, mit diversen verhuschten Aktionen an der Sologitarre in die Bresche zu springen, die die Band ihm kunstvoll schuf – immer wieder, er muß geübt haben. Und flocht irgendwann eine Mundharmonika aus dem Haar, mit der er diesen unheimlichen Zugewinn an Spielfertigkeit wieder ins Lot rückte. Eine Weiterentwicklung in formaler oder inhaltlicher Hinsicht war gegenüber den frühen Versuchen eigentlich nicht festzustellen.

Was nicht heißt, daß alles wie gehabt klang. Dylan-Konzerte sind ein Anlaß für den Rockkritiker, in einer untergehenden Tugend zu brillieren: Repertoirekenntnis. Gleich im Eröffnungsstück darf er unter dem massiv geschichteten Gitarrengeröll eine bekannte Zeile hervorklauben: „You gotta find yourself another best friend some-ho-ho-how“. „I Want You“, mit viel Geleitschutz von den Totengräbergesellen, ist wieder leichter zu identifizieren. Ebenso natürlich das gerade herausgeschrummte „All Along The Watchtower“, in dem Dylan der bereits beim Woodstock-Revival im letzten Jahr gezeigten Tendenz nachgab, den Text als im wesentlichen auf einer Tonhöhe liegende Vokalstrecke hinter sich zu bringen.

Das Close Reading der Programmabfolge ergibt im weiteren eine traurig-schöne Version von „Under The Red Sky“, „I'll be Your Baby Tonight“ als Boogie und, kurz vor dem „Unplugged“- Teil des Sets, eine um den Refrain entkernte Version von „Silvio“: „Silvio, I gotta go / To find out something only dead men know“.

Hier erstmals großer Jubel, denn diese Vermittlung des Wissens von Toten, von legendären Rumtreibern wie Woody Guthrie, Gunnermen wie John Wesley Harding und spärlich überlieferten Halbsagengestalten wie Frankie Lee und Judas Priest ist, angereichert um das klassische Rock- 'n'-Roll-Outsidertum und eine in wilden Bildungsprozessen angeeignete Variante europäischer Poète-maudit-Traditionen, über alle Dekadenwechsel und Umformungen des mittlerweile mehr als 300 Songs umfassenden Dylan-Kanons hinweg das, was immer noch ankommt unter der irgendwie auch kathedralischen Kuppel des Tempodrom – je mehr, je weiter der Mann, der sich in den frühen Sechzigern in einem Anflug von Größenwahn als Dichter selbst erfand, hinter seiner eigenen Erfindung verschwindet. Und Dylan, bekanntlich ursprünglich mal der Sohn eines Möbelhändlers aus Duluth/Minnesota, bleibt gar nichts anderes übrig, als auf der Akustischen in seinen eigenen Zeilen aufzugehen. „Love Minus Zero – No Limit“, noch 'n Klassiker mit Botschaft: „There's no success like failure/And failure's no success at all“.

Tosender Szenenapplaus, aber ist dieses Rad wirklich noch auf Feuer? Und how does it feel? Bob von innen kennt keiner, er ist da – das muß genügen. Anders als Neil Young, der mit Jüngeren kooperiert (demnächst auch wieder auf Tour-Theater) und sich nach Johnny Rotten an Kurt Cobain abarbeitet, bastelt Dylan an einer sehr speziellen, einer noch höhereren Hermeneutik vertrauenden Variante von Altersstarrsinn. Bob Dylans 115ter Traum: Nach der wiedergetauften Phase als Christ, dem schweren Hänger in den späten Siebzigern, der Rückkehr mit dem vielsagenden Albumtitel „Oh Mercy“ und manch Mittelmäßigem, der erneuten Spitzkehre mit den Traditional-Alben „Good As I Been To You“ und „Word Gone Wrong“, nach dem endlosen Zersingen und Zerspielen seines eigenen Materials ist Dylan heute weder Apokalyptiker noch Pop-Hegelianer noch Dekonstruktivist, sondern Stoiker in eigener Sache. Bei mir immer noch Liebe minus null – (fast) kein Limit, aber was sagen die anderen? Jubeln mit allen Extremitäten. Er gibt den Leuten, was sie wollen, aber er gibt es ihnen nur in der Hoffnung, seine Stücke seien immun gegen Interpretation – sogar gegen seine eigene.

Bleiben folgende, nicht ganz abschließende Bemerkungen zum Phänomen Dylan, Stand Sommer 95: 1. „Rainy Day Women a 12 & 35“ (vulgo: „Ev'rybody Must Get Stoned“) geht als Zugabenknaller, Raustreiber und Zugeständnis an die aus der Saat von damals emporgekeimte Hanfhaus-Bewegung gerade noch so in Ordnung, auch wenn eine befreundete Konzertbesucherin nachher beim Bier etwas leichthin gestand, sie habe ihrem Vater ein original Hanfhemd zum Geburtstag geschenkt. 2. Ein einziges Feuerzeug wurde geschwenkt, aber Bob versteckte es geschwind in einer Falte seines zerknitterten Gesichts. 3. Repertoiretreue ist eine Tugend, aber ein einziges, winziges neues Stück hätte man sich schon gewünscht. 4. Gut, daß er „Like A Rolling Stone“ nicht gespielt hat (Enttäuschung von Erwartungshaltungen). 5. „The Time They Are A-Changing“ hätte er besser nicht spielen sollen (Übererfüllung von Erwartungshaltungen). Desgleichen 6. „Knocking On Heaven's Door“ – wenngleich man versucht ist, hier mildernde Umstände zuzubilligen. Die Rock- 'n'-Roll-als-Herrschaftssound-Version von Guns 'N' Roses hätte ihm natürlich zu denken geben müssen, aber daß Mike Krüger hierzulande „Nack nack nackig an der Himmelstür“ daraus machen würde, konnte ein Mann wie Dylan nun wirklich nicht ahnen.

Weitere Konzerte: 7. 7. Glauchau, 8. 7. München, 10. 7. Stuttgart, 12. 7. Dortmund.

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