: Geburtsorte
■ betr.: „PLO-Nachwuchs“, taz vom 28. 6. 95
Sehr geehrte Frau Suha Arafat,
[...] was Sie über die hygienischen Zustände in Gaza, denen Sie sich als Gebärende nicht aussetzen wollen, geäußert haben, ist eine Zumutung, ist eine Beleidigung für all die palästinensischen Frauen, die in der Intifada gekämpft haben, für alle palästinensischen Frauen, die in den Flüchtlingslagern ihre Kinder zur Welt bringen mußten, für alle Frauen, die in den Ländern der sogenannten Dritten Welt leben müssen und die kein Geld haben, sich eine Reise nach Paris zu leisten.
Es mangelt Ihren Landsfrauen nicht an Hygiene, wohl aber an Geld, worüber Sie ja in ausreichendem Maße zu verfügen scheinen; wäre es nicht sinnvoller, Ihr Geld dann in eine Geburtsklinik in Gaza zu investieren, als es in Paris zu verpulvern? Oder möchten Sie das autonome Gebiet der Palästinenser nach Paris verlegen? Abgesehen davon: Die meisten Kinder auf dieser Welt werden nicht in Kliniken geboren, und die Krankenhausgeburt ist eh eine Sache der Männermedizin.
Sie aber, Frau Suha, sind als quasi First Lady des autonomen palästinensischen Gebietes eine Repräsentantin Ihres Volkes und sollten mit gutem Beispiel vorangehen, anstatt rassistische Vorurteile europäischer Herkunft zu unterstützen. Es laufen in Europa schon genug Idioten rum und reden von „schmutzigen Orientalen“, „dreckigen Arabern“ und „Türken, die Läuse ins Land bringen“, müssen Sie diese Menschen unterstützen, müssen Sie dem Imperialismus und den Vorurteilen der Kolonialisten in die Hände arbeiten? Ich persönlich habe in Syrien gelebt und kenne mich also in den hygienischen Verhältnissen einigermaßen aus, ich sehe nichts, was eine Frau – in Ihrem Falle eine reiche Frau – davon abhalten könnte, dort ein Kind zu gebären, wo auch Tausende von anderen Kindern geboren werden. [...]
Sie aber unterstützen den Imperialismus und Neokolonialismus mit Ihrer Haltung, und am Ende wecken Sie noch in uns Europäern das Gefühl, wir müßten kommen und den Palästinensern Hygiene und Kultur bringen. Und Sie haben trotz der ach so schlimmen hygienischen Verhältnisse in Gaza dort mit Ihrem Mann geschlafen und Ihr Kind empfangen, hatten Sie da keine Angst vor Wanzen im Bett oder Kakerlaken in der Dusche? Kerstin Witt, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen