Beitragsbonus fürs Idealgewicht

■ Bundesgesundheitsminister Seehofer (CSU) will Risikogruppen wie Autofahrern, Rauchern und Übergewichtigen ihre Behandlungskosten aufbürden

Bonn (taz) – Ganz offiziell wollte Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) heute das Gutachten des Sachverständigenrates vorstellen, das Diskussionsgrundlage für die dritte Stufe der Gesundheitsreform sein soll. Doch das Papier war in Bonn schon früher bekannt und wird heftig kritisiert. „Es ist ein Sammelsurium unterschiedlicher Vorschläge“ und „als politische Entscheidungshilfe ungeeignet“, schimpfte der SPD- Sozialexperte Rudolf Dreßler über die von Seehofer in Auftrag gegebene Expertise.

Aus der Kurzfassung des Gutachtens geht hervor, daß es drastische Einschnitte in das bisherige Krankenversicherungssystem geben soll. Der Versicherte soll künftig selbst entscheiden, mit welchen Leistungen er sich versorgen will. Er kann durch die Wahl oder die Ablehnung von Leistungen seinen Beitragssatz erhöhen oder senken. Gesunde Lebensführung wollen die Experten belohnen.

Im einzelnen schlagen die Gutachter vor, daß sich Auto- und Motorradfahrer wegen der „individuellen Beinflußbarkeit“ künftig privat gegen aus Verkehrsunfällen entstandene Gesundheitsschäden versichern. Auch Übergewichtige und Raucher sollen stärker zur Kasse gebeten werden. Dagegen können Menschen mit Idealgewicht mit einem Beitragsbonus rechnen.

Gleiches gilt für fleißige Zähneputzer, die sich von ihrem Zahnarzt regelmäßig in den Mund schauen lassen. Nicht mehr über die Krankenkasse bezahlt werden sollen „versicherungsfremde Leistungen“ wie Mutterschutz, Kinderkrankengeld und Sterbegeld.

Damit die Krankenkassen zukünftig mehr Geld haben, schlagen die Sachverständigen vor, neben Lohn oder Rente auch andere Einkommen wie etwa Mieteinnahmen bei der Beitragsberechnung zugrunde zu legen. Ehepartner, die keine Kinder versorgen, sollen künftig einen eigenen Beitrag von rund 180 Mark zahlen müssen. Den Arbeitgeberanteil an den Versicherungskosten wollen die Experten einfrieren. Beitragserhöhungen träfen dann nur noch die Arbeitnehmer.

Die Festschreibung des Arbeitgeberanteils würde zu keiner Kostenstabilität im Gesundheitswesen führen, kritisieren die Sozialdemokraten. „Wer sich für ein Zweiklassensystem in der gesetzlichen Krankenversicherung einsetzt, verabschiedet sich vom Solidarsystem“, warnt Dreßler. Risikoorientierte Beitragssätze seien mit den Prinzipien einer Sozialversicherung nicht vereinbar. Kranke zahlten einen höheren Beitrag als Gesunde.

Die SPD-Gesundheitspolitiker wollen bis Ende August ein eigenes Konzept vorstellen. Sie plädieren dafür, die Budgetierung im Gesundheitswesen, die Ende des Jahres ausläuft, um zwei Jahre zu verlängern. Bis dahin sollen noch nicht verwirklichte Änderungen des Gesundheitsstrukturgesetzes umgesetzt werden. Erst dann machten weitere Reformen Sinn. Karin Nink