piwik no script img

Freiheit fürs „Concordia“

■ Endlich Eintracht: Ab heute bespielen auch die freien Theatergruppen die Traditionsbühne des Bremer Theaters

Auch mitten im Sommer gehen Wünsche in Erfüllung. Dabei hatte der Weihnachtsmann sie schon jahrelang von Wunschzettel zu Wunschzettel übertragen müssen. Doch was jetzt wie ein Kinderspiel aussieht, dahinter stecken langer Atem und ein zähes Ringen. Nach fast zwei Jahren ist es Bremens freien Theatergruppen gelungen, eine neue Spielstätte zu erobern. Im Concordia, das bislang ausschließlich dem Bremer Theater vorbehalten war, können ab sofort auch die freien Theatergruppen, die keinen eigenen Raum zur Verfügung haben, auftreten. Grund genug, am Wochenende dort ein kleines Theaterfestival zu feiern. Mit einem the-best-of-potpourri unter dem Namen „Oh, Du Concordia“ zeigt die Szene ihr Können. Welch ein Meilenstein mit dem unterschriftsreifen Nutzungsvertrag auf dornigem Verhandlungswege erreicht wurde, das kann nur ermessen, wer weiß, daß der Name Concordia für eine der ruhmreichsten Epochen der Bremischen Theatergeschichte steht und infolgedessen - des Intendanten Pierwoß liebstes Kind ist.

Nun kann es losgehen: Wenn das Bremer Theater das Condordia nicht voll auslastet und im Spielplan freie Spielzeiten findet, dann meldet man das an das Kontorhaus. Dort versucht man ein Theaterprojekt zu vermitteln, das diese Lücke nutzen will. So kommt der Deal zustande. Die Abendmiete von 350 Mark und die Lohnkosten werden aus dem Topf der Spielstättenförderung bezahlt. Die Abendeinnahmen bleiben damit für die SchauspielerInnen als Verdienst.

Die Sache rechnet sich, solange der neu eingerichtete Spielstättenfördertopf noch etwas hergibt. Auf Seiten des Bremer Theaters war es allerdings nicht nur Großherzigkeit, die Intendant Pierwoß und Verwaltungsdirektor Rolf Rempe antrieb. Ihr Motiv: Seit neuestem erhöhte Mietausgaben für das Concordia bei gleichzeitig einem enormen Sparbedarf, im letzten Jahr 2 Millionen. In Zukunft möglicherweise noch einmal 10 Prozent. So etwas hilft bei der Kompromißfindung. Als dann zu Beginn dieses Jahres in der Kulturbehörde vom Theaterreferat auch noch ein Topf für Spielstättenförderung in Höhe von 25.000 Mark aufs Feuer geschoben wurde, war endlich mit den Finanzen eine zentrale Schwierigkeit bei den Verhandlungen aus dem Weg geräumt. Für der Rest Verzögerungen sind eher emotionale Bauchschmerzen zu diagnostizieren.

„Anfangs hatten sie Angst um ihren Raum, ihre teure Scheinwerferanlage und davor, was wir wohlmöglich kaputtmachen könnten “, erläutert Stephan Pleyn vom Kontorhaus die langwierigen Verhandlungen zwischen freien Gruppen und Bremer Theater. Aber es gäbe schließlich keine Erfahrungen miteinander, räumt Pleyn verständnisvoll ein. Seine Position als Koordinator der freien Gruppen und Verhandlungspartner gegenüber dem Bremer Theater hat ihm gezeigt, welche Berührungsängste auf beiden Seiten bestanden. Auch das einer der Gründe für die langwierigen der Verhandlungen. „Wir mußten erst mal Vertrauen schaffen und alles minutiös schriftlich festhalten“, erläutert Pleyn das Schneckentempo. Auch in der freien Szene begegneten viele dem großen Theater mit mehr Konkurrenzgehabe als nötig, neideten der Institution das viele Geld. Beachtlich also, daß zwei so unterschiedliche Partner sich doch zu einer Einigung durchringen konnten und die freien Gruppen die Bühne des Concordia in Zukunft nutzen können, wenn sie durch den Spielplan des Bremer Theaters leerstünde. Üblich ist das nicht: „Ich weiß von keiner einzigen Stadt, wo freie Gruppen die Spielstätte des öffentlichen Theaters mitnutzen“, betont Stephan Pleyn das Bremer Novum.

Die Zusammenarbeit zwischen großem Bremer Theater und freien Gruppen tritt nach den mühseligen Vorläufen endlich in die Testphase, hat aber schon in Vorfeld die ersten Erfolge gezeitigt. „Jetzt, wo der Karren einmal rollt, sind plötzlich alle sehr hilfsbereit. Unglaublich, als für uns ein Termin in der Concordia nicht zu machen war, da hat man uns sogar das Schauspielhaus angeboten.“ Stephan Pleyn staunt noch immer. In diesen heiligen Hallen wird jetzt in Kooperation mit Impuls, Tanzwerk und Kontorhaus vom 24.11. bis 3.12 der Bremer „Tanzherbst“ stattfinden. Der Austragungsort könnte nicht besser gewählt sein; schließlich hat sich das Concordia, als es vor fast 25 Jahren von einem Kino zur Bühne umgewandelt wurde, gerade als Experimentalbühne einen Namen gemacht. George Tabori arbeitete hier mit seiner Gruppe von 1976-78 im „Theaterlabor“. Und auch in den Jahren bis 1986, als Reinhild Hoffmann den Ruf des Concordia über Bremen hinaus zu Gehör brachte, lag der Schwerpunkt auf dem experimentellen Tanztheater.

An diese Tradition wird am Wochenende die kleine Leistungsschau der freien Bremer Szene “Oh, Du Concordia“ erinnern. “Instant act“, ein Improvisationsabend mit Tänzern, Musikern und dem Lichtkünstler Mühlenberger macht am freitag abend den Anfang. Die Gruppe trifft sich schon seit längerem im Kontorhaus zu diesen Spontan–Inszenierungen, bei denen dann zu Themen wie „der Rausschmiß“, Improvisationen entstehen. Getimed auf die Sekunde sind die folgenden beiden Abende, an denen „The best of“ gezeigt wird: Ausschnitte aus Theaterstücken von Fo bis König. Am Samstag sind Franceska de Martin mit Dario Fo-Geschichten zu erwarten, Podewitz mit „Podewitz spielt Podewitz“ und Grue Blanche, ein Maskentanzstück. Sonntag: Erwi&Alvi, Karin Winkler, Butzbacher & Brommelmeier und Margot Müller.

Susanne Raubold

Freies Theaterfestival „Oh, Du Concordia“, Freitag bis Sonntag , jeweils um 20 Uhr im Bremer „Concordia“-Theater

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen