: Wer hat Enrico Mattei umgebracht? Multinationale Ölkonzerne, denen der einflußreiche Manager im Wege war? Die CIA, die bis heute alle Akten geheimhält? Oder Mafiosi – weil Mattei ihre Geschäfte in Sizilien störte? Fest steht: Am 27. Oktober 1962 stürzt bei Mailand ein Flugzeug ab – mit Mattei an Bord. Unfallursache: „unbekannt“. Doch jetzt wurden im Labor Spuren von Sprengstoff gefunden. Von Werner Raith
Der Mann, der vom Himmel fiel
„India, Sierra, November, Alpha, Papa! India Alpha Papa! Können Sie mich hören?!“
Den immer verzweifelteren Ruf der Mailänder Flugkontrolle können die meisten der damals im Tower anwesenden Beamten noch heute skandieren: „Linate, hören Sie mich, haben Sie Nachricht von India Alpha Papa?!“
Auch der Nachbarflughafen konnte nur feststellen, daß der Leuchtpunkt kurz vor der Landung von den Radarschirmen verschwunden war – 18.58 Uhr zeigten die Uhren.
Bauern sagten später aus, sie hätten einen Knall gehört und am Himmel einen Feuerball gesehen – wenig später fanden Feuerwehr und Carbinieri die Trümmer der zweimotorigen Maschine auf den Feldern von Bascapé nahe Mailand.
Von den drei Insassen konnten die Helfer nur noch „Fleisch und Knochen bergen, verstreut im Umkreis von mehreren hundert Metern, etwa fünfzehn Kilo“, wie sich ein damals anwesender Polizist erinnert. Wenig später lief die Nachricht über die Bildschirme, Radiostationen unterbrachen ihre Sendungen: Einer der Insassen des Flugzeugs war Enrico Mattei, 56, Chef der italienischen Energiebehörde ENI; mit ihm umgekommen waren der Pilot Irnerio Bertuzzi und der Journalist William Mac Hale.
Derzeit müssen sich damalige Einsatzleiter und Zeugen erneut erinnern, was sie damals alles bemerkt und ausgesagt oder auch nicht ausgesagt hatten: Seit Mitte Juni brodelt der Fall erneut hoch. Nachdem – unglaublicherweise erst vor drei Monaten zum erstenmal – Laboruntersuchungen von Trümmern des Flugzeugs Sprengstoffspuren bewiesen hatten, hat sich der Staatsanwalt Vincenzo Calia aus Padua in eine Neuaufnahme des Verfahrens gestürzt. Die Leichenreste der drei Flugzeuginsassen wurden, 35 Jahre nach dem Tod, exhumiert und werden nun ebenfalls auf Sprengstoffspuren untersucht.
„Erstmals suchen die nun ernsthaft nach der Wahrheit“, erklärten die drei Enkel Matteis, die seit Jahren um neue Ermittlungen kämpfen. Die 1974 von den Gerichten festgestellte Unfallursache – „unbekannt“ mit einer „gewissen Wahrscheinlichkeit für ein Fehlverhalten des Piloten im aufkommenden Gewitter und Sturm, wodurch er die Orientierung verlor und auf den Boden prallte“ – hat sie nie überzeugt: Immerhin war Matteis Pilot einer der erfolgreichsten Jagdflieger des Zweiten Weltkriegs gewesen und für seine Unerschrockenheit legendär; vor Gibraltar hatte er reihenweise alliierte Schiffe versenkungsreif geschossen.
Zur Boden-Aufprall-Version paßte auch nicht, daß die Trümmer in einem Umkreis von mehr als vierhundert Metern verstreut waren; auch die umstehenden Bäume waren kaum versehrt – was bei einem niedergehenden Flugzeug der Fall hätte sein müssen.
Doch die Öffentlichkeit und auch die Presse hatte sich schon kurz nach dem Tod Matteis mit der offiziellen Version eines Unfalles zufriedengegeben – bis auf einen Journalisten, Mauro De Mauro, Redakteur bei der palermischen Abendzeitung L'Ora.
Er recherchierte hinter dem Fall her und war offenbar Anfang 1970 so fündig geworden, daß er eine Serie darüber ankündigte. Da wurde er plötzlich, nach einem von ihm offenbar für sehr wichtig erachteten Anruf, in eine Falle gelockt und verschwand spurlos.
Erst siebzehn Jahre später deutete der erste große Aussteiger aus der Mafia, Tommaso Buscetta, während eines Verhörs durch den – 1992 ermordeten – Ermittlungsrichter Giovanni Falcone an, der Fall De Mauro und der Fall Mattei seien miteinander verknüpft.
Doch was er damals zum besten gab, klang so abenteuerlich, daß Falcone es vorzog, die Untersuchung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben – wozu er dann nicht mehr kam.
Buscetta hatte gesagt: „Einer der Vettern Greco [Mitglieder des höchsten Leitorgans der Mafia; W.R.] hat mir berichtet, Mattei sei auf Bitten der amerikanischen La Cosa Nostra umgebracht worden, weil er mit seiner Politik wichtige Interessen im Vorderen Orient gefährdete. Dahinter standen wahrscheinlich die amerikanischen Erdölkonzerne...“
Wer war Mattei? Was hatte er getan oder wollte er tun, das die US-Ölmultis – damals als „sieben Schwestern“ berühmt – so gegen ihn aufbrachte, daß der Auftrag an die Mafia durchaus im Bereich des Möglichen liegen könnte?
Mattei, einer der berühmtesten Partisanen aus dem Bereich des prakitzierenden Katholizismus, christdemokratischer Parlamentsabgeordneter seit der ersten Wahl 1948, vor allem aber Chef zunächst des staatlichen Erdölkonzerns Agip und dann der von ihm anfang der fünfziger Jahre aufgebauten staatlichen Energiebehörde Ente Nazionale Idrocarburi (ENI), hatte als erster europäischer Manager versucht, seinen Sektor aus der Abhängigkeit von den Ölmultis zu befreien.
1945, da war er noch kommissarischer Leiter der von Mussolini gegründeten und daher auf dem Index der Demokraten stehenden Agip, widersetzte er sich vehement der Privatisierung der Behörde, wie sie ein Gesetzentwurf des Industrieministeriums vorsah – und kam durch, nachdem er in einem alten Gutachten von Agip-Ingenieuren den Nachweis von Methangas in der Poebene geführt hatte und damit die Politiker von einer einträglichen Pfründe auch für sie überzeugen konnte.
In seinen Methoden war er nicht wählerisch. Er bestach Abgeordnete oder erpreßte sie, log, daß sich die Balken bogen – so etwa, als er den Fund angeblich riesiger Petroleumvorkommen in einer gekonnten Inszenierung bei Anwesenheit zahlreicher Volksvertreter bühnengerecht vorspiegelte und damit auch den zögerlichen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi für die Errichtung seiner ENI gewann.
Schon damals galt er als einer der mächtigsten Männer Italiens – einzig namhafter Gegenspieler war der Gründer der Volkspartei, Don Luigi Sturzo, der sogar einen eigenen Gesetzentwurf gegen Mattei einbrachte: „Wir haben hier Abgeordnete, die in mehr als einem Dutzend Aufsichtsräten sitzen oder gar ganze Konzerne führen – eine unerträgliche Vermengung der Tätigkeit jener, die befehlen, und jener, die sie kontrollieren sollen.“
Der Gesetzentwurf kam nicht durch, die Interessenvermengung hält bis heute an – und die Verwandten Matteis grummeln immer noch, daß Don Sturzos Initiativen die Position des Managers so geschwächt hätten, daß die Ölmultis sich zu einer notfalls auch mörderischen Initiative ermutigt fühlten.
Tatsächlich hatte Mattei im letzten Drittel der fünfziger Jahre einen Frontalangriff auf die Multis begonnen. Als ihn diese zunächst mit Mißachtung straften und er 1959 bei einem von den Amerikanern als geradezu herausfordernd frech empfundenen Versuch abgeblitzt war, die gleichberechtigte Teilhaberschaft seiner ENI im Konzern der sieben Schwestern zu erreichen, setzte er sich mit den Chefs der arabischen Ölstaaten zusammen, jettete nach Moskau und besprach dort Energie-Joint-ventures und suchte auch die gerade zart entstehende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in diese Richtung zu bewegen.
Die US-Konzerne, die den Quereinsteiger erst belächelt hatten, reagierten zunehmend konsterniert. Denn offenbar hatte der Mann Erfolg: Ölstaaten zögerten mit der Unterschrift bei neuen Bohrungen, europäische Pipeline- Planungen wurden durch italienische Initiativen über den Haufen geworfen, auch das bisher eher mit den Amerikanern kungelnde Frankreich überlegte sich schon aus Eifersucht auf die Erfolge Matteis einen Kurswechsel. US-Präsident John F. Kennedy beauftragte seinen Außenminister Dean Rusk, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Das – mittlerweile freigegebene – Protokoll einer Sitzung im Außenministerium vermerkt: „Man kam zu dem Schluß, daß man ein oder zwei der großen Erdölgesellschaften zu einem Abkommen mit Mattei ermutigen sollte.“ Ob dabei auch „härtere“ Maßnahmen erwogen wurden, wie manche Mattei- Biographen vermuten, oder sogar das CIA mit Mordplänen beauftragt wurde, ist nicht belegt.
Die Vereinigten Staaten hatten gerade die Invasion auf Kuba verpatzt, der Chef des Geheimdienstes, Allen Dulles, hatte zurücktreten müssen, neue Skandale wollte man wohl nicht.
Allerdings stammen aus dieser Zeit dann auch wieder Pläne zur Ermordung Fidel Castros – und die CIA weigert sich bis heute, die Akten bezüglich Matteis freizugeben.
Als die Krisenbesprechung im US-Außenministerium stattfand, hatte Mattei bereits abgehoben: Nun wollte er es sein, der die Bedingungen diktierte. Zwar hatte man in Italien kaum Erdöl gefunden, dafür aber immer mehr Erdgas. Die entstehenden Arbeitsplätze machten Mattei zum Volkshelden.
Auch in Sizilien waren die Bohrer auf mächtige Vorkommen gestoßen, und just am Tag vor seinem Tod war Mattei auf der Insel vor eine riesige Menschenmenge getreten und hatte die Einwohner aufgefordert, ihre ausgewanderten Söhne und Brüder zurückzuholen: „Hier gibt es Arbeit für alle.“
Möglicherweise war diese Begeisterung des Volkes in Sizilien für Mattei der Moment, der sein Todesurteil besiegelte: Hätte er sein Vorhaben realisiert, wäre zum erstenmal seit Jahrhunderten der Staat als offebarer Wohltäter in den Vordergrund getreten, hätten sich die Mafiosi – die bisher das Monopol reklamierten für das, was den Menschen bekommt – schwer in die Ecke gedrängt fühlen müssen.
Nach dem Bericht weiterer Mafia-Aussteiger hatten die Bosse daher eigens eine große Jagd organisiert, an der der begeisterte Fischer und Jäger Mattei gerne teilnahm. So zerstreuten sie seine Befürchtung, es könne zu einem Machtkampf mit ihnen kommen – und konnten ungestört an sein Flugzeug heran, das völlig unbewacht auf dem Flughafen von Catania stand.
Eine unverständliche Unvorsichtigkeit – zumal es bereits früher mindestens einen Sabotageversuch an dem Flugzeug gegeben hatte und Mattei während seines Sizilienaufenthaltes auch Hinweise auf ein mögliches Attentat gegeben hatte. Sein Kommentar: Wenn sie mich umbringen wollen, werden sie's so und so schaffen.“
Anderthalb Stunden nach dem Start beobachteten die Bauern von Bascapé den Feuerball über ihren Köpfen, und der Radarlotse schrie sein verzweifeltes „India Alpha Papa ...!“
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