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Seitenwechsel – Schuß – und Tor!

In Berlin spielen Homo-FußballerInnen in 24 Teams aus Europa und den USA um den WeltmeisterInnen-Titel  ■ Von Klaudia Brunst

Oh Mann“, stöhnt die Spielerin mit der Nummer 10 völlig unfeministisch und nimmt einen mannhaften Schluck aus der Mineralwasserflasche. „Gott sei Dank spielen wir gleich mit dem Wind. Dann fliegen die Bälle hoffentlich weiter!“ Zufrieden können die Fußballerinnen von „Sowieso Dresden“ mit ihrem Auftaktspiel an diesem Dienstag nicht sein: Zur Halbzeit liegen ihre Gegnerinnen, die Berliner „Lehrerinnen“, die nicht wirklich alle Lehrerinnen sind, aber wirklich gut Fußball spielen, klar in Führung. Nach zweimal 25 Minuten Spielzeit werden die Gäste aus Sachsen mit 3:1 besiegt vom Platz schlurfen.

Auch gegen das Team aus Amsterdam haben die Dresdnerinnen heute – weder mit noch gegen den Wind – keine Chance. Doch bei der ersten lesbisch-schwulen Fußballweltmeisterschaft gilt natürlich das olympische Prinzip: Dabeisein ist alles – und gewonnen hat schon, wer überhaupt elf wackere Kämpferinnen zusammengebracht hat.

Insgesamt 24 Teams aus allen Teilen der schwul-lesbischen Welt kämpfen derzeit am Kühler Weg im Berliner Grunewald um den heute im großen Finale ausgespielten WM-Titel. In der über zwei Tage dauernden Vorrunde geht es mit dem Leistungsniveau noch munter durcheinander. Wie viele Frauenteams, haben auch „Hopelessly Devoted“ in ihrer derzeitigen Formation nur selten zusammengespielt. Und zu Hause wird zudem – unter ganz anderen Bedingungen – in der Halle trainiert.

„Wir hatten im ersten Spiel auch so unsere Probleme“, kommentiert Dorothea von Hopelessly Devoted Berlin die Dresdner Niederlage fachkundig. Der Turnierball ist viel härter als in den Trainingsspielen. „Das tat richtig weh. Da ging nix mehr. Nicht mal 'ne Ecke!“ Immerhin haben sich die Berlinerinnen im Duell gegen „Walburgia Amsterdam“ mit einem torlosen Unentschieden über die Zeit retten können. Und als sie dann den Angstgegner „Solidarität Berlin“ mit 3:0 vom Platz fegen, ist die Welt wieder in Ordnung.

Während nun in der zweiten Halbzeit auf Platz B die Lehrerinnen gegen Sowieso Dresden mit dem Gegenwind zu kämpfen haben, ringen auf dem Nachbarfeld die Jungs von „Manndecker Frankfurt“ und „Appenties London“ um einiges professioneller um den ersehnten Führungstreffer.

„Jetzt wird's schwer“, meint Manndecker Peter, nachdem die Engländer 1:0 gewonnen haben, „mal sehen, wieviel Kraft das erste Spiel gekostet hat.“ Denn das zweite Match dieses Tages haben die Frankfurter gegen die gut eingespielten „San Francisco Spikes“ zu bestreiten. In den USA, wo die wilden (Hetero-)Kerle traditionell dem Football ergeben sind, ist die weichere Variante des europäischen Soccer ein beliebtes Spiel für Frauen, Kinder – und eben Schwule. So ist es kein Wunder, daß neben den Spikes noch drei weitere Teams aus New York, Atlanta und Boston nach Berlin gereist sind. Die Gay-Soccer-Bewegung ist groß, erst im Oktober wurde der schwul-lesbische Weltfußballverband gegründet. Auch in Deutschland hat sich der Homo- Sport in den letzten Jahren eine Infrastruktur aufgebaut. Vorbei sind die Zeiten, da die Volleyballer des schwulen Berliner Sportvereins „Vorspiel“ vergebens um Aufnahme in den Volleyballverband ersuchten. Jetzt, zehn Jahre später, ist Vorspiel mit seinen rund 600 Mitgliedern, so die Spötter, „die größte organisierte Homo-Bewegung des Landes“.

„Die meisten, die heute in schwulen Teams spielen, haben früher in Hetero-Vereinen gekickt“, meint Veranstalter Klaus Baier. Nur war es in den Männerbünden der konventionellen Vereine ratsam, die privaten Vorlieben fürs eigene Geschlecht nicht so deutlich hervorzukehren. Böse Zungen behaupten immer noch, daß Schwulsein und Fußballspielen nicht zusammenpassen. Zu sehr widerspreche das machistische Gehabe der Balltreter schwuler Identität. Klaus Baier, der selbst auf eine lange Trainererfahrung bei einem Berliner Traditionsverein zurückblicken kann, bestreitet das heftig: „Schau dich um“, meint er und deutet auf die Plätze, „wie man sieht: Schwule können genauso gut oder schlecht Fußball spielen wie Rothaarige.“

Die meisten Aktiven kennen sich schon aus Frankfurt von den Euro-Games Ende 1994 oder waren sogar in New York oder Vancouver bei den letzten internationalen Gay-Games, der Homo- Olympiade, dabei. Auch bei der Soccer-WM sind die rauschenden Eröffnungs- und Abschiedsfeste, der Sightseeing-Spaziergang durch Sanssouci und das Picknick am Reichstag genauso wichtig wie das sportliche Treiben. Natürlich gehört beim Homo-Sport auch das Balzen zum Bolzen. Dennoch ziehen die Kamerateams von Sat.1 oder RTL enttäuscht ab, weil im Grunewald „nix Aufregendes“ zu filmen ist. Wären da nicht die fünf Cheerleader vom Hamburger „Startschuß“-Team, die ihre Mannschaft bis an die Heiserkeitsgrenze mit dem Kampfruf „Wer ist vor dem Gegner cool? / Immer geil und immer schwul?“ antreiben – man könnte wirklich meinen, bei einem ganz normalen Freizeitkickturnier gewesen zu sein.

Längst haben sich die Homo- Sportvereine von ihrem empanzipatorischen Überbau befreit. Zwar amüsiert sich so manches Gay- Team noch klammheimlich, wenn man ein ganz normales Freizeitturnier gewonnen hat und dann aus der Hand eines indignierten Sparkassenleiters und unter Nennung des vollen Vereinsnamens die Siegertrophäe überreicht bekommt. Aber die meisten organisieren sich in den Homo-Vereinen nicht zu Demonstrationszwecken, sondern weil es mehr Spaß macht, unter sich Sport zu treiben.

Anders als bei den männlichen Mitstreitern, die meist schon als Jungen gekickt haben, ist es für Frauen immer noch schwer, überhaupt einen Fußballverein zu finden. „Früher haben die Platzwarte den Mädchen doch verboten, das Fußballfeld zu betreten, weil sie angeblich nur den Rasen kaputt machen“, meint Ruth von den „Straightqueer Göttingen“. Seit jedoch die deutsche Frauennationalmannschaft medienwirksame Erfolge feiert, haben sich auch kleine Ortsvereine nun Mädchenmannschaften zugelegt. Daß der Deutsche Fußballverband der Frauen- Nationalmannschaft untersagte, an den schwul-lesbischen Euro- Games in Frankfurt teilzunehmen, sorgt unter den Wettkämpferinnen in Berlin für allgemeine Erheiterung: Deutlicher hätte man nicht herausposaunen können, daß das Team um Silvia Neid wohl mehr oder weniger geschlossen hätte antreten können. Lesben spielen offenbar gerne Fußball.

Lesben tummeln sich auch außerhalb der Homo-Vereine in den Frauenteams: Der Berliner Landesliga-Club 1. FC Wilmersdorf zum Beispiel ist zum Homo-Turnier fast komplett angetreten. Die heute fehlenden Heteras wurden einfach durch Freundinnen aus dem Bekanntenkreis ersetzt. Nur notdürftig haben die Spielerinnen ihre Trikots mit dem für die WM gültigen Namen „Wilma's Dorf“ überklebt, um sich Ärger mit dem Verband zu ersparen.

Denn das Grußwort zur schwul- lesbischen WM, mit dem der Berliner Fußball-Verband Weltoffenheit signalisieren wollte, verrutschte den Funktionären zu der verkniffenen Erklärung, daß „unsere Gesellschaft“ auch „sportliche Gruppierungen“ wie die Homos „toleriert“. Und so verhielt man sich denn auch auf die Bitte der Organisatorinnen um Unterstützung bei der Schiedsrichter-Auswahl. Man ließ sie ungehört verhallen. Petra Dränkert, eine der Veranstalterinnen, suchte deshalb die fehlenden Lizenz-Schiedsrichterinnen beherzt aus dem Telefonbuch zusammen. Drei Unparteiische sagten zu – wurden aber von ihrem „Schiedsrichteransetzer“ an diesem Seitensprung gehindert. Natürlich nicht, weil der Verband etwas gegen jene „sportliche Gruppierung“ und ihre WM hätte. Mitnichten. Dränkert sei nur ein Formfehler unterlaufen.

Da die Homo-Clubs ja nicht im Verband organisiert seien, wären die dorthin bestellten Schiedsrichterinnen auch nicht versichert. Und so ein Risiko kann der Verband nun mal nicht eingehen. Beim Homo-Fußball hört der Spaß für Heteros eben doch auf.

Siehe Leibesübungen Seite 19

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