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„Zufällig" in die „Dauerkrankheit"

■ Ein Einblick in die fiese Kunst des Mobbings

Sie bekommt keine Informationen mehr. Die Kolleginnen sagen ihren KundInnen am Telefon, sie sei krank. Der Einladung zum Betriebsfest geht „zufällig“ verloren. Ob sie mit ihrer Arbeit nicht klarkomme, wird sie gefragt – sie habe so wenig KlientInnen. Mobbing. 1,2 Millionen Opfer von gezieltem Psychoterror soll es an deutschen Arbeitsstätten geben, so schätzen ExpertInnen. Der Leiter der ersten Mobbing-Klinik in Bad Lippspringe geht sogar von vier bis fünf Millionen aus.

Vor allem BetriebsrätInnen und Frauenbeauftragte wollten sich am Freitag auf einem Seminar der top '95 über Mobbing informieren. „Der ideale Nährboden für Mobbing ist eine Atmosphäre, in der Konflikte nicht offen ausgetragen werden“, klärt Workshop-Leiterin Andrea Martus auf. Auch unklare Aufgabenverteilungen und ein willkürlicher Führungsstil begünstigen den Psychoterror. Und natürlich fördern anstehende Kündigungswellen, wie sie jetzt gerade bei Post und Bahn anstehen, die unterschwellig ausgetragenen Konflikte in der Belegschaft. Denn Mobbing zielt letztendlich darauf ab, jemanden zur Kündigung oder in die Dauerkrankheit zu treiben.

Unter Mobbing versteht die seit Anfang der 80er Jahre bestehende Forschung dabei ein systematisches, diskriminierendes Verhalten, das von den TäterInnen strategisch geplant wird. „Daß Sie jemanden mobben, ohne es zu merken, ist nicht möglich“, beruhigt Martus eine Teilnehmerin. Opfer derartiger Attacken kann allerdings jede und jeder werden: Sowohl robuste als auch sensible Menschen, sowohl Frauen als auch Männer, Kollegen, Untergebene und manchmal sogar Vorgesetzte. Am gefährdetsten sind Menschen zwischen 40 und 60 Jahren.

Die TäterInnen handeln meistens allein; in zehn Prozent der Fälle sind aber auch mehrere Personen an dem fiesen Spiel beteiligt. Während Frauen ihren Opfern durch Gerüchte und Tratsch schaden, mobben Männer eher passiv, indem sie die Kollegin oder den Kollegen vom Informationsfluß abschneiden. „Im Grunde sind es schwache Menschen, die ihre Schwäche durch das Herabsetzen ihres Opfers kompensieren“, meint einer der wenigen Männern im Seminar, ein Psychologe.

Der ökonomische Schaden, den die Mobber anrichten ist enorm: Auf 50.000 bis 150.000 Mark im Jahr schätzt Professor Heinz Leymann, der Papst der Mobbing-Forschung, die Kosten für Krankenkassen und Arbeitgeber. Annette Jensen

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