: Nur „etwas Besonderes“ führt zu Letterman
Wie der 400m-Weltmeister Michael Johnson versucht, sich im „sozialen Bewußtsein der Massen“ zu plazieren ■ Von Peter Unfried
Berlin (taz) – Schräg gegenüber vom Palast der Republik auf der Terrasse eines Restaurants, wo man sein Frühstück laut Eigenwerbung „the American Way“ kriegt, sitzt relativ unbeachtet ein Mann und trinkt Wasser. Es tritt auf ein Männlein mittleren Alters, dessen Pocketkamera sich dem Gesicht des Sitzenden auf intime 50 Zentimeter nähert. Der Mann grinst zunächst überrascht, dann professionell, als das Foto nach unendlichen Minuten immer noch nicht gemacht ist, beginnt er schallend zu lachen. Weil sich nun auch zwei Fernsehkameras nähern, um ihn beim Verspeisen eines Salates zu beobachten, bleiben ein paar Leute stehen.
Am Ende der als Autogrammstunde geplanten Veranstaltung hat Michael Johnson (26) etwa zwanzigmal seinen Namen schreiben dürfen. Kurz darauf in einem Kaufhaus am Alexanderplatz läuft die Sache besser, doch weiß der US-Amerikaner einmal mehr, daß der Weg zum berühmtesten Leichtathleten der Gegenwart weiter ist als eine Stadionrunde. Jedenfalls: Das Unternehmen Johnson als Markenbegriff durchzusetzen läuft. Doch weil die Leichtathletik zwar noch halbwegs in der alten Welt, doch nicht annähernd in den Staaten ein großer Renner ist, reicht es nicht aus, der unbestritten beste Athlet über die langen Sprintstrecken 200 und 400m zu sein, über die Johnson 1991 (200m) und 1993 (400m) Weltmeister wurde, und die er seit fünf Jahren ziemlich beherrscht. Seine bei den US-Trials gelaufenen 19,83sec (mit zuviel Wind) und 43,66sec sind heuer unerreicht.
Nun haben sich Johnson und sein Manager Bradley Hunt eine mittelfristige Werbestrategie ausgedacht, die den zwar bestens verdienenden, doch eher unauffälligen Athleten zum Unikat machen soll. Inwieweit Primo Nebiolo, der mächtige Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF), mitmischt, ist im Moment unklar. Eigentlich geht es wenig aufregend simpel darum, den Zeitplan für die WM in Göteborg und jenen für Olympia in Atlanta so zu gestalten, daß Johnson erst in die 400m-Vorläufe einsteigen muß, wenn die 200m erledigt sind. Nun hat er dem Ähnliches in Barcelona ermöglicht worden war, ohne es nutzen zu können, mit Nebiolo geredet, aber der sagt, es passe ihm nicht, einen Präzedenzfall zu schaffen, weil „dann jeder kommen“ könne. Das nun, sagt Manager Hunt, sei „eine lächerliche Position“. Wer, fragt der freundliche Mann mit der samtenen Stimme, „ wer sonst war vier der letzten fünf Jahre die Nummer 1 über 400m, und drei der letzten fünf die Nummer eins über 200m?“
Keiner, das ist wahr, weil keiner so schnell durch die Kurve zu laufen vermag, wie der Mann aus Dallas, Texas. Der hat nach abgeschlossenem Marketing-Studium an der dortigen Baylor University, die ihm auch Athleten-Heimat ist, schneller als andere die Geschäftsgrundlagen seiner Tagesfron untersucht und genutzt. Das Laufen, sagt er, „ist ein Geschäft“, und er will das bestmögliche abschließen. Nun „kreischen die Mädchen auch in Europa nicht“ (Johnson), wenn er durch die Straßen geht, aber hier verdient er immerhin sein Geld, zu Hause in Dallas kennt man ihn, sehr viel mehr aber nicht.
„Wenn dieser Sport einen Mangel an Popularität in den USA hat“, sagt Brad Hunt, „dann muß man erkennen, welche Möglichkeiten Johnson hat, das zu ändern.“ Der gedenkt nämlich, so sieht er das, „etwas zu tun, was noch kein Mensch zuvor unternommen hat.“ Und wenn nun also Nebiolo und in der Folge Samaranch ihre blöden Zeitpläne modifizieren, sagt Hunt, dann würden Leute, die bisher keine Notiz vom Weltmeister genommen haben, sagen: „Oooh, wer ist der Bursche für den sie den Zeitplan ändern? Oooh, das ist Michael Johnson! Der muß etwas Besonderes sein. Den kucke ich mir an.“
Also hat Johnson dieser Tage, auch das eine Aktion, die kalkuliertes Aufsehen erregt hat, bei Juan Antonio Samaranch, dem Oberolympier in Lausanne, vorgesprochen, hatte etwas, was er einen nice talk nennt, unverbindlich zwar, doch mit veritabler Schlagzeilen-Emission. Der ruhige, unaufgeregte Mann mit der sonoren Stimme mag nicht unbedingt dem Idealtypus Medienstar entsprechen, doch: Hat man nicht schon ganz andere groß herausgebracht? Rudi Thiel, für dessen ISTAF er am Freitag in Berlin Werbung gemacht hat, sagt, Johnson wisse „so langsam, wie wertvoll die Offenheit eines Athleten ist“.
Die internationale Leichtathletik mit ihren nur noch schwer zu refinanzierenden europäischen Vorzeigemeetings sucht dringend neue Protagonisten, die die dieser Tage aussterbenden Helden Lewis, Christie, Bubka, Ottey, Joyner- Kersee ersetzen und dem Ganzen künftig Gesicht und Wiedererkennungswert geben können. Und immerhin: Ist da nicht noch der Laufstil Johnsons, dieser kerzengerade Oberkörper, als hätte er einen „Besen“ (Munzinger-Archiv) oder auch einen „Stock“ (Süddeutsche) verschluckt? Stets pflegt man Johnson danach zu fragen, stets kann er nichts anderes sagen, als was er immer sagt: „Es ist natürlich. Das hat mir kein Trainer beigebracht, das habe ich auch nicht irgendwo abgekuckt“, auch bei Jesse Owens nicht, der neuerdings gerne, auch das hat Verkaufswert, als Vergleich herangezogen wird. „Es kommt zu mir, und irgendwie hilft es“, sagt Johnson, was längst wissenschaftlich untermauert ist.
Doch die Sache ist eben keine Frage der Biomechanik, sondern eine der Soziokultur. Erfolg im Showgeschäft hat in den USA, wer bei David Letterman, wer bei Jay Leno auftritt. „Late Night with David Letterman“ ist, sagt Brad Hunt, „der Akzeptanzmesser für das soziale Bewußtsein der Masse“. Die WM, spätestens Olympia, soll Johnson zu Letterman führen. „Um diesen Transfer im sozialen Bewußtsein vorzunehmen“, hat Hunt erkannt, „muß jetzt etwas ganz Besonderes passieren.“ Und, sagt er, „vielleicht ist Nebiolo ja schlauer als wir alle.“ Schließlich sucht der Italiener, der gerade bei Fernsehverhandlungen Gegenwind verspürt hat, selbst einen, der seinem Laden optimale Imagewerte zurückbringt. Vielleicht, hofft also Hunt, „sagt er nein, nein, nein, und plötzlich: ja! Und dann ist die Spannung da!“
In der Karl-Liebknecht-Straße hat der Kameramann vom Lokalsender „jetzt sieben Autogramme“ gefilmt, „wenn wir die hintereinander schneiden“, sagt er und verzieht das Gesicht, „kriegen wir eine gewisse Dynamik“. Derweil interessiert man sich für die Identität des Salat essenden Mannes. „Das ist Johnson“, sagt der Kameramann. „Ah, der Basketballer“, nicken wissend die Passanten und gehen eilig ihrer Wege.
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