: Pusdorfer Utopia für Pökse
■ In Miniwolt regieren die Kurzen – fast schon so wie die Alten
„Hey, Toby, willst Du Richter werden – ich bin auch einer!!“ schreit der frischgebackene „Justiziar“ seinem Freund zu. Keine schlechte Karriere für den Zehn- oder Zwölfjährigen; ein Jurastudium kann der ja wohl kaum schon hinter sich haben. Doch in „Miniwolt“, der Kinder-Spiel-Stadt in Woltmershausen wird Unmögliches möglich; – „Klein-Utopia“ sozusagen. Bis kommenden Freitag werden ErstklässlerInnen zu GaleristInnen, I-Männchen zu Müllmännern, Steppkes zu BürgermeisterInnen und Pökse zu ReporterInnen. Und genauso schnell, wie sie ihren Job bekommen haben, können sie ihn auch wieder wechseln – ein Gang zum Arbeitsamt, 20 „Wolkies“ (=Woltmershausener Kinderkies, die Währung der Kindercity) Stundenlohn abkassieren und ab zum nächsten Einsatz – vielleicht als Clown im Circus?
„Im Spiel ein Stück Stadtstrukturen erfahrbar zu machen“, ist das pädagogiche Konzept der Ferienaktion die der Kulturladen Pusdorf e.V. in Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendberatungszentrum „Arche“, dem Bremer „Spiel-T-Raum e.V.“ und mehreren Pusdorfer Kindertagesheimen auf dem Spielplatz Kamphofer Damm auf die Beine gestellt hat. Für die voraussichtlichen etwa 120 „EinwohnerInnen“ wird es alles geben, was auch im realen Leben eine Stadt ausmacht; neben den normalen „Dienstleistungsbetrieben wie Schmiede, Fahrrad- und Verwandlungswerkstatt, Fitnesstudio, Schönheitssalon, Schwimmbad und Theater dürfen auch andere „Essentials“ wie Arbeitsamt, Polizei, Müllabfuhr und Presse nicht fehlen; sogar eine BürgermeisterIn wird bei der täglichen Bürgerversammlung mittags um zwei gewählt. Mit ihren verdienten „Wolkies“ können die wiederum von anderen Kindern betriebenen Einrichtungen wie zum Beispiel das Café genutzt werden.
Die Idee zur urbanen Welt im Kleinformat stammt eigentlich von der Münchener „Pädagogischen Aktion“, die bereits Mitte der Achtziger Jahre mit einem ähnlichen, allerdings größeren, Projekt von sich reden machte, erzählt Birgit Struß vom „Spiel-T-Raum“. Auch in Bremen sind Aktionen solcher Art nicht ganz unbekannt. In Kattenturm und in Tenever wurden schon in den Jahren 1989 und –90 zuhausgebliebene Kinder zu Bürgern einer Modellstadt.
„Wir geben denn Kindern jedoch nur den Rahmen vor“, was sie daraus machen, bleibt ihnen überlassen“, meint Ludger Fischer, Kulturpädagoge und Hauptorganisator des Projekts. So kann es schon vorkommen, daß jemand bei der Bank, die eigentlich nur die „Wolkies“ auszahlen soll, ein Konto eröffnen möchte, oder daß die Polizisten bei einem Temposünder (bestimmt war's ein Taxifahrer) außerplanmäßig „fünf-Wolkies-bar-auf-die-Kralle“ Strafe einsacken.
Zwar haben „Mini-Bürger“ viel bei der Erwachsenenwelt abgeschaut, jedoch weichen viele ihrer Ideen auch von ihr ab, weiß Fischer, bei dem der „Eigensinn“ der Kinder auf Wohlwollen stößt. Damit entkräftet er auch das mögliche Argument, daß die Erwachsenenwelt den Kindern übergestülpt würde. Eine Scheinwelt wollten sie den Kindern ja nicht vorspielen, und außerdem sei das Ganze ja kein sozialphilosophischer Modellversuch, sondern eine Spielaktion, so Fischer.
Finaziert wurde die Mitmachaktion von den Senatoren für Kultur- und Ausländerintegration, Umweltschutz und Stadtentwicklung, Gesundheit, Jungend und Soziales, sowie vom Ortsbeirat Woltmershausen und dem Deutschen Kinderhilfswerk, dessen Berliner Verteter am kommenden Mittwoch zur symbolischen Scheckübergabe anreist. Und noch eine offizielle Amtshandlung steht dem/r BürgermeisterIn bevor: ebenfalls am Mittwoch ist Stadtrundfahrt mit Ortsamtsleiter Klaus-Peter Fischer angesagt. rem
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