■ Burmas Militärregime läßt Nobelpreisträgerin Suu Kyi frei
: Unkonventioneller Mut

Gestern ist Burmas Militärregierung die wohl größte Überraschung seit dem Putsch von 1988 gelungen. Der undurchschaubare Geheimdienstchef Khin Nyunt höchstpersönlich überbrachte der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi die Nachricht, sie sei frei. Einfach so, ohne Bedingungen.

Die Meldung scheint fast zu gut, um wahr zu sein, und dementsprechend laufen zwischen Rangun, den in Thailand lebenden Widerstandsgruppen und Nachrichtenagenturen die Telefone heiß. So ganz mag noch niemand den Militärs trauen, schließlich gab es in der Vergangenheit zu viele Ereignisse und Erfahrungen, in denen sich die Militärregierung SLORC (Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung) nicht an ihre eigenen Versprechen gehalten hat. Zu oft stand die Freilassung Suu Kyis unmittelbar bevor, zuletzt im Januar – und immer wieder wurden in letzter Sekunde Verordnungen und Sondergesetze erlassen, die die weitere Inhaftierung der prominenten Politikerin ermöglichten.

Dennoch deuteten einige Zeichen auf das jüngste Ereignis hin, zuletzt die Freilassung von zwei engen politischen Verbündeten Suu Kyis im April. So gesehen könnten die Militärs mit der Aufhebung des Hausarrests der Weltöffentlichkeit ihre Bereitschaft signalisieren, einen Friedensprozeß nach südafrikanischem Vorbild anzustreben. Suu Kyis Freilassung ist dazu die erste und wichtigste Vorbedingung, die unisono sowohl von den burmesischen wie auch von ausländischen Verhandlungspartnern gefordert wurde. Inwieweit es Suu Kyi nach ihrer Freilassung möglich sein wird, den Demokratisierungsprozeß tatsächlich in Gang zu bringen, ist schwer abzuschätzen, denn Burmas Gefängnisse sind voll belegt mit Oppositionellen, und tief sitzt in der Bevölkerung die Angst vor dem allmächtigen Geheimdienst. Insofern paßt die unerwartete Freilassung gut in das strategische Konzept der Militärregierung. Die überraschende Freilassung trägt erst einmal dazu bei, die politischen Gegner in der völlig veränderten Lage zu verunsichern. Was genau der nächste Schritt sein wird, sich darauf vorzubereiten hatte Suu Kyi zwar fünf Jahre lang Zeit, aber voraussehbar sind die nächsten Stunden in Rangun deswegen keineswegs. Zwar gehören Verwirrspiele und unberechenbare Aktivitäten seit langem zu den Spezialitäten des Regimes, doch zum ersten Mal seit sehr langer Zeit gibt es Anlaß, die Motive der Machthaber nicht nur mit Skepsis zu betrachten.

Wenn es stimmt, was gestern aus Rangun berichtet wurde, dann verdient die Militärregierung zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Lob für ihren nach den Gepflogenheiten internationaler Politik wahrhaft unkonventionellen Mut. Es könnte der Anfang vom Ende des Regimes sein. Dorothee Wenner

Freie Journalistin in Berlin