: „Eine Politik des Kalten Krieges“
■ FDP-Generalsekretär Westerwelle fordert Kohl auf, bei seinem heutigen Treffen mit Chirac Druck gegen die Atomtests zu machen
taz: Nehmen wir an, Kanzler Kohl hat dem französischen Präsidenten Jacques Chirac auf dem EU-Gipfel in Cannes schon gesagt, daß Deutschland die Atomtests im Südpazifik ablehnt. Was kann die Bundesregierung noch tun?
Guido Westerwelle: Zunächst bleibt der Bundesregierung nur, bei den anderen Mitgliedern der EU für Unterstützung der Kritik zu werben. Ein entschiedenes Auftreten der europäischen Länder kann einen Meinungsdruck innerhalb Frankreichs schaffen, damit die französische Regierung ihre Entscheidung korrigiert.
Die deutsche Stellungnahme zu den Plänen war aber in Europa bisher die am wenigsten deutliche.
Das würde ich nicht sagen. Der Bundesaußenminister hat es öffentlich und auch bilateral an Kritik nicht mangeln lassen. Kinkel ist für einen Stopp der Atomwaffentests und darüber hinaus ein weltweites Atomteststoppabkommen eingetreten.
Das haben wir so nicht wahrgenommen. Herr Kinkel hat die Entscheidung als „bedauerlich“, aber eine „nationale Angelegenheit Frankreichs“ bezeichnet.
Das ist nicht vollständig. Kinkel hat in Warschau mehrere Punkte unterstrichen: Erstens hat er gesagt, das die geplanten Tests eine nationale Angelegenheit Frankreichs sind – aber in dem Sinne, daß wir bei der Willensbildung für diese Entscheidung in keiner Weise berücksichtigt worden sind. Er hat zweitens die Entscheidung Chiracs kritisiert und hat drittens die Notwendigkeit unterstrichen, daß auch Frankreich den geplanten Vertrag über einen Atomteststopp unterzeichnet.
Morgen trifft der Kanzler den französischen Präsidenten Chirac wieder. Was muß geschehen?
Ich bin sicher, daß der Kanzler sein gutes persönliches Verhältnis zu Chirac nutzt, die Kritik zum Ausdruck zu bringen und auf ihn einzuwirken. Die staatsmännische ist aber nur die eine Seite. Es geht darum, ein Meinungsklima aufzubauen.
Das gibt es schon. 95 Prozent der Deutschen sind gegen die Tests.
Ich meine ein Meinungsklima innerhalb Frankreichs. Mittlerweile wird auch in Frankreich selbst Kritik an den geplanten Tests geübt. Das ist eine Entwicklung, die man unterstützen muß.
Und wie?
Indem man klar macht, daß es sich hier um die Politik des Kalten Krieges handelt. Das paßt nicht mehr in unsere Zeit der ökologischen Vernunft und nuklearen Abrüstung.
Das wird der Kanzler Herrn Chirac wohl nicht sagen.
Ich habe gar keinen Zweifel, daß der Kanzler seinem französischen Gesprächspartner von der deutschen öffentlichen Meinung berichten wird. In diesen oder in anderen Worten.
Vom gut Zureden bis zu einer öffentlichen Stellungnahme zur Politik eines Nachbarlandes, wie sie Präsident Mitterrand in der deutschen Nachrüstungsdebatte Anfang der achtziger Jahre gewählt hat, ist es ein weiter Weg?
Der erste Schritt ist die öffentliche Kritik der Gesellschaft, um damit das innenpolitische Klima in Frankreich gegen die Tests zu schaffen. Gleichzeitig ist der diplomatische Druck auf europäischer Ebene notwendig. Die Freundschaft zwischen zwei Ländern verpflichtet zu Wahrheit und Klarheit in solchen Fragen. Wenn solche Gespräche nicht helfen, muß geprüft werden, ob sich der Bundeskanzler selbst auch entsprechend öffentlich positionieren muß.
Im Anschluß an das Treffen mit Herrn Chirac sollte also klar sein, ob der Bundeskanzler sich hier öffentlich positionieren muß?
Das haben Sie richtig verstanden. Interview:
Hermann-Josef Tenhagen
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