Reif fürs Establishment

■ Im Gespräch: Michael Müller und Franz Dröge über den ewig jungen Wunsch, das Publikum zu belehren und zu bessern

Der Wandel kultureller Wertvorstellungen, besonders der Einfluß der Massenkultur, gehört zu den Schwerpunkten in der interdisziplinären Arbeit der Bremer Uni-Professoren Michael Müller und Franz Dröge. Was sie an ihrer Studie über die Bremer Kulturszene selbst überrascht hat, erläuterten sie im Interview.

taz: Warum jetzt diese Umfrage?

Michael Müller: Es gibt verschiedene Ausgangspunkte. Einmal die Wende in den kulturpolitischen Strategien der Kommunen, die seit zwei, drei Jahren zu beobachten ist. Man nimmt von Konzepten der 70er und 80er Jahre – Soziokultur, Kultur für alle – mehr und mehr Abstand. Auch in Bremen setzt man plötzlich wieder auf eine Hochkultur. Die Auseinandersetzung mit Massenkultur und Massenmedien wird dabei nicht mehr berücksichtigt. Kultur wird konventioneller. Gleichzeitig war in Bremen zu beobachten, daß man in Zeiten rückläufiger Subventionen ernsthafter anfing zu fragen: Ja, was machen wir eigentlich? Müssen wir neue Legitimationen entwickeln? Dazu gehört zum Beispiel die Gründung des Kulturrats. Diese Situation erschien uns günstig.

Nun scheint das Nachdenken über eigene Wege laut Umfrage weniger ausgeprägt zu sein als die „Sehnsucht nach Lenkung“. Nur 38 Prozent der Befragten haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eigene Vorschläge zu machen. Sind die Bremer Kulturschaffenden ideenlos?

Franz Dröge: Das kann man nicht sagen, das geben die Ergebnisse so eindeutig nicht her. Mehr eindeutige politische Vorgaben, das kann ja auch heißen: Man will eine mittel- bis langfristige Planung haben, in der Förderungsprioritäten festgelegt sind: Was passiert mit der Soziokultur? Was passiert mit dem Theater? Brisant wird es erst, wenn man sieht, daß die Befragten mehrheitlich auch Qualitätsvorgaben fordern.

Genau das wird ja tatsächlich gewünscht: Qualitätskriterien von höherer Stelle.

Dröge: Ja, das ist in der Tat ein interessantes Ergebnis. Man kann das als sehr konservativen, fast wilhelministischen Zug auslegen. Man kann es aber auch so interpretieren, daß die Kulturschaffenden mehr Maßstabsvorgaben von Jurys und ähnlichen Instanzen erwarten, um sich selbst besser einordnen zu können – etwa: Hat es überhaupt Zweck, daß ich mich an dieser Ausschreibung beteilige?

Müller: Sonderbar erscheint mir dabei auch die Einschätzung des Publikums, die daraus folgt. Man setzt für die eigene Produktion wieder sehr stark auf Qualität. Gleichzeitig will man nicht gerade ein Qualität erkennendes, also ästhetisch gebildetes Publikum haben.

Man befindet sich bereits auf einer höheren Stufe, auf die man das Publikum hinaufziehen muß...

Müller: Ja. Und das wäre in Zusammenhang zu bringen mit dem Modell der ästhetischen Erziehung, das bei den Antworten an erster Stelle rangiert. Man könnte also auch den Schluß ziehen – wobei das nur ein Aspekt der Interpretation ist: Die Kulturschaffenden suchen den Schulterschluß mit der Kulturpolitik.

Dahinter steht offenbar der Wunsch nach Pädagogisierung von Kultur...

Müller: Nein, das ist falsch. Mit ästhetischer Erziehung ist das nicht gleichzusetzen, auch, wenn es natürlich einen Zusammenhang gibt. Wenn wir von „Pädagogisierung“ reden, dann denken wir an Lehrpläne, an Volkshochschule und Weiterbildung. Ich glaube, daß das Schiller'sche Modell der ästhetischen Erziehung eher ein Selbsterziehungsmodell darstellt. Es geht zumindest darum, durch Kultur eine substanziell andere Erfahrung machen zu können, die auch zum Eigentlichen führen, die den Menschen veredeln und verbessern sollte.

Dabei entsteht der Eindruck, daß dieses Modell der ästhetischen Erziehung – als Modell einer sich durch Kultur humanisierenden Gesellschaft – als ein Projekt verstanden wird, das von Spezialisten entwickelt wird für ein Publikum. Wobei es kaum Bemühungen gibt, Wege zu finden, daß dieses auch vom Publikum selbst ausgeht, daß es auch Korrespondenzen gibt zwischen den Beteiligten.

Dröge: Das entspricht wirklich dem Verhältnis von Bühne und Zuschauerraum, denke ich.

Müller: Diese Tendenz paßt ja am ehesten in die Grüne Kulturpolitik. Auf einer Tagung in Bonn, so war zu lesen, hat Frau Trüpel gesagt: Ich treffe eben meine Klientel immer häufiger auf Vernissagen und Theaterpremieren. Ich weiß nicht, in wieweit das in vielen Fällen auch ein Generationsproblem ist. Die Mehrzahl der von uns Befragten war ja zwischen 30, 35 Jahren und älter. Offenbar fühlt man sich in dieser Altersgruppe jetzt reif genug, an dieser etablierten Kultur teilzunehmen. Und dann rechtfertigt man das natürlich auch entsprechend.

Eine Rückbesinnung auf Bildungsideale des 19. Jahrhunderts, die Sie als Reaktion auf eine Entgrenzung kultureller Strategien bewerten, die die Postmoderne in den vergangenen 15 Jahren eingefordert hat.

Dröge: Man kann das vermuten, ja. Für viele ist die Differenz zwischen Hoch- und Massenkultur ja nicht mehr auszumachen. In dieser unendlichen Vielfalt, dieser vermeintlichen Heterogenität, sucht man eben nach Haltpunkten. Diese Orientierungen sind dann traditionell sehr stark wertbesetzt. Die sich in unseren Augen zwar nicht bewährt haben; aber es sind in unserer Gesellschaft offenbar nach wie vor probate Rezepte, auf die man in solchen Krisensituationen zurückgreift. Aber ich denke, tradierte Argumentationsfiguren dieser Art würde man heute in fast allen anderen Berufsgruppen auch so wiederfinden. Wobei das faktische Verhalten ganz anders ist als die Vorstellung, die man sich davon macht.

Das bedeutet: Die Kulturproduktion selbst muß gar nicht so rückwärtsgewandt aussehen?

Dröge: Nein; dagegen sprechen nämlich auch andere Ergebnisse. Die Vorstellungen, wie hier Regionalität und internationale Kultur verbunden werden sollen, finde ich zum Beispiel ausgesprochen gut. Das sollte die Kulturpolitik hier wirklich mal zur Kenntnis nehmen.

Fragen: Thomas Wolff