: Panzerkreuzer Müller
Einer der letzten Künstler hierzulande, dessen biografisches Kraftfeld stark genug ist, um Legenden anzuziehen, ist Heiner Müller. In den letzten Jahren hat er mehr durch Interviews als durch eine eigentliche literarische Produktion von sich reden gemacht, neues Originalmaterial ist der wartenden Gemeinde einstweilen noch nicht avisiert, und so ist es nur konsequent zu nennen, wenn sein Verlag die Heiner-Müller-Ausgabe nun mit einem Band „Gespräche“ streckt. Alexander Kluge hat sie geführt und in seinen Kultursendungen auf RTL bereits zwischen 1990 und 1994 gesendet.
Müller arbeitet hier fleißig an seiner Künstlerlegende, und Kluge geht ihm dabei hilfreich zur Hand. Was Wunder, daß auch hier das Verhältnis des Künstlers zur Gewalt eine zentrale Rolle spielt. „Du mußt einverstanden sein auch mit der Gewalt, mit der Grausamkeit, damit du sie beschreiben kannst ... Es ist sicher ein Problem, worüber man reden oder streiten kann: ob Kunst überhaupt human ist. Sie ist es nicht. Sie hat nichts damit zu tun.“ Interessant zu beobachten, wie Müller seinen Kritikern stets entgegen-, wenn nicht gar zuvorkommt. Man hält ihm Kälte vor und Unempfindlichkeit? Bitte sehr: „Das hat sicher etwas zu tun mit einem Bedürfnis nach Panzerung, mit einem subjektiven Bedürfnis nach Panzerung. Deshalb ist das auch ein Traumbild, der Panzer ... Eine Frau hätte keinen Panzer erfinden können. Das ist eine durchaus männliche Schutzbehauptung, der Panzer. Frauen brauchen keinen Panzer.“ Man konfrontiert ihn mit seinen Stasi- Kontakten? Er nennt sich ohne Umschweife einen „Schuldigen“ und fügt unbescheiden, wie man es von ihm erwartet, hinzu, Paul Virilio habe ihm gesagt, „die einzige Hoffnung und Chance für Europa ist eine Allianz der Schuldigen. Es gibt keine Unschuldigen.“ Man kommt ihm mit seinen Privilegien in der DDR? Diese Position ist ihm „völlig klar“ gewesen, und bei der großen Demonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz hat er gewußt, „daß die Mehrheit dieser Leute da unten überhaupt keinen Grund hat, mich sympathisch zu finden, weil ich für Jahrzehnte etwas voraus hatte“.
Müller probt manchmal auch den Ton einer neuen Bescheidenheit: „Das war der große Irrtum der Intellektuellen, die hofften, daß sie sich wieder zum Sprachrohr des Zeitgeistes machen könnten. Aber das geht nicht mehr. Diese Rolle ist vorbei.“ Eine späte Einsicht, die leider nicht lange vorhält, denn ein paar Seiten weiter schon hört man Müller munter plaudern, wie es die allzuständigen Intellektuellen immer schon getan haben, und wie sie es wohl bis in alle Ewigkeit tun werden, je weniger sie vom Thema verstehen, um so waghalsiger: „Das Problem unserer Zivilisation ist, eine Alternative zu Auschwitz zu entwickeln, und es gibt keine. Es gibt kein Argument gegen Auschwitz. Also wenn du mal Auschwitz nimmst als die Metapher – ja, Metapher ist ein sehr barbarisches Wort –, aber als die Realität der Selektion. Und Selektion ist global das Prinzip der Politik.“
Auschwitz als Sonderfall eines „globalen Prinzips der Politik“? Das ist nicht ganz so ausgefeilt wie Ernst Noltes These, Auschwitz sei nicht als Zivilisationsbruch zu verstehen, sondern gerade als Krönung des okzidentalen Rationalismus (und also: nicht als eigentlich deutsches Problem), aber die Pointe ist die gleiche: Entlastung. Willkommen im Klub!
Alexander Kluge/Heiner Müller: „Ich schulde der Welt einen Toten. Gespräche“. Rotbuch Verlag, 107 Seiten, geb., 28 DM.
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