: Arme Länder als Genlabors
Europaparlament fordert ein Moratorium für den Handel und die Freisetzung von gentechnisch veränderten Bakterien und Pflanzen ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Das Europaparlament stimmte gestern gegen die Freisetzung genmanipulierter Organismen in Ländern ohne Biotechnikgesetze. Die Abgeordneten in Straßburg verabschiedeten gegen die Stimmen der Christdemokraten einen Bericht, der die Kommission und den Ministerrat auffordert, sich bei den Verhandlungen über „biologische Sicherheit“ für ein Moratorium stark zu machen. Wenn das Votum bindend wäre, müßten die EU-Vertreter jetzt auf internationaler Ebene für ein Im- und Exportverbot von genmanipulierten Organismen kämpfen.
Das befristete Ausfuhrverbot zielt vor allem auf die Unterbindung von Freisetzungsversuchen in der Dritten Welt. Es soll nach dem Willen der ParlamentarierInnen erst aufgehoben werden, wenn ein internationales Protokoll den Handel nur zwischen Ländern mit strengen Gengesetzen erlaubt. Die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer ist optimistisch: „Das Votum wird Druck auf die EU-Regierungen ausüben und die Verhandlungsposition der G77-Entwicklungsländer stärken.“
Ob der Druck wirkt, wird sich bereits in ein paar Tagen herausstellen. Ab dem 24. Juli trifft sich in Madrid eine Arbeitsgruppe, die die Konferenz über biologische Vielfalt im November in Indonesien vorbereiten soll. Bei der letzten Konferenz im vergangenen Herbst war es den Industrieländern gelungen, jede konkrete Verabredung zu umgehen. Auch ist im Vorbereitungspapier für das Treffen in Madrid lediglich von einem „internationalen Netzwerk“ für biologische Sicherheit die Rede. Die Folgen der Biotechnologie wollen die internationalen Expertengruppe außen vor lassen: das sei wertend und nicht objektiv.
Daß die Gentechnikindustrie verbindliche Regelungen verhindern will, ist kein Wunder: Insbesondere nordamerikanische Multis haben in den letzten Jahren in Lateinamerika zahlreiche Freisetzungsversuche durchgeführt und wollen dieses unreglementierte Forschungsfeld auch jetzt nicht räumen. Aber die BewohnerInnen von Drittweltländern protestieren zunehmend. Denn daß die Versuche keineswegs harmlos sind, wie die Gentec-Firmen immer behaupten, zeigte sich bereits 1988 in Argentinien, wo Kühe mit einem gentechnisch veränderten Tollwutimpfstoff behandelt wurden. Die Landarbeiter erfuhren erst dadurch von dem Experiment, daß viele von ihnen an einer unerklärlichen Infektion erkrankten.
Derweil Politiker um Worte feilschen, bereitet auch die deutsche Gentec-Industrie ihre Versuchsfelder außerhalb von EU- Grenzen vor. „Wir haben Überlegungen, die die ganze Welt betreffen“, bekennt Jürgen Cantstetter, Pressesprecher bei der Hoechst- Schering-Tochter AgrEvo. Ziel der Firma ist es, zusätzlich zu den Zulassungen für das Totalherbizid Basta in 49 Ländern auch die Genehmigungen für basta-resistente Pflanzen zu bekommen. Dazu sind Feldversuche mit den genmanipulierten Pflanzen in verschiedenen Gegenden nötig. Dariusz Przeradzki von der AgrEvo Polen hofft, daß die Versuche mit genetisch verändertem Raps noch in diesem Spätsommer starten werden: „Wir würden das hier sehr gern haben.“ Ein Genehmigungsverfahren dafür ist nicht vonnöten.
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