Schulbau wie zu Kaisers Zeiten

■ Mit einem gigantischen Sonderprogramm will Berlin in den nächsten Jahren 250 Schulen neu oder ausbauen / Vier Milliarden Mark stehen bereit / Umsetzung durch knappen Landeshaushalt gefährdet

Bis zur Jahrtausendwende hat sich die Stadt viel vorgenommen. Neben den geplanten Prestigeobjekten wie dem Regierungsviertel, dem neuen Zentralbahnhof oder dem Tiergartentunnel will Berlin auch ein gigantisches Bauprogramm für Schulen bewältigen: Rund 250 Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sollen in den nächsten zehn Jahren errichtet werden, das Land plant Investitionen von insgesamt vier Milliarden Mark. Im Hause von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) spricht man vom größten Schulbauprogramm seit Kaiser Wilhelms Zeiten.

Diese Größenordnung orientiert sich an den Veränderungen nach der Wende, auf die die Stadt reagieren muß: Die Grund-, Ober- und Berufsschulen der Ostberliner Bezirke müssen an die Standards des Westberliner Schulsystems angeglichen werden; in und um Berlin werden in den nächsten Jahren 80.000 neue Wohnungen entstehen; Die asbestbelasteten Bildungszentren aus den „heroischen“ Jahren der Reformpädagogik der späten 60er und frühen 70er Jahre müssen saniert werden. Und kurzfristig muß auf steigende Schülerzahlen reagiert werden.

Allerdings stehen die Prognosen über wachsende Schülerzahlen auf etwas wackligen Beinen. Nach einer Modellrechnung der Senatsschulverwaltung werden die Schülerzahlen in den nächsten Jahren erheblich ansteigen und Anfang des nächsten Jahrtausends wieder etwas abfallen. Die Kritik, das Schulbauprogramm sei viel zu großzügig geplant, hält der Sprecher der Senatsschulverwaltung für überzogen. „Wir haben hier sehr niedrig gerechnet.“ Bei der Modellrechnung seien zum Beispiel der geplante Hauptstadtumzug und die Wanderungsbewegungen von Brandenburg nach Berlin nicht berücksichtigt worden. „Wir wären jedoch froh, wenn wir von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verläßlichere Daten bekämen.“

Mit Prognosen hat man so seine liebe Not: Heute gibt es in Berlin allein schon 409.000 SchülerInnen. Damit ist die Prognose für das Schuljahr 94/95 schon längst um einige tausend überschritten. Während die Schülerzahlen im Westteil der Stadt bis zur Jahrtausendwende insgesamt steigen, fallen sie im Ostteil.

Anders als in den Gründerzeitjahren zwischen 1870 und 1910 (allein in der Zeit zwischen 1869 und 1896 wurden in Berlin über 200 Gemeindeschulen und rund 25 Höhere Schulen gebaut) und anders als bei den durch die Reformpädagogik angeregten Schulbauten der 20er, 70er und 80er Jahre, so Senatsbaudirektor Hans Stimmann, vollziehe sich der aktuelle Schulbauboom allerdings „ohne eine explizit neue pädagogische Programmatik“. Für die einzelnen Schulen gebe es derzeit keine eigenen konzeptionellen Vorgaben. „Die Architekten habe freie Hand, und jede Schule wird individuell geplant“, erklärt Peter Ostendorff von der Baubehörde.

Als das Programm im Jahr 1992 startete, war das Geld jedoch noch nicht so knapp wie heute. Die geplanten Gebäude konnten damals zügig gebaut werden, bilanziert der Sprecher der Senatsschulverwaltung, Andreas Moeglin. „Heute ist der Finanzsenator aber sehr knauserig geworden.“ Bezirke, die mit dem Programm noch nicht angefangen haben, schauen nun vielleicht in die Röhre. Denn jetzt müßten sie ihre Bauten vorfinanzieren, bevor der Senator einen Pfennig rausrückt.

Eine Schule kostet nach Berechnung der Behörde im Schnitt 50 Millionen Mark. Grundschulen seien mit rund 30 Millionen wesentlich billiger als die Gesamtschulen oder Bildungszentren mit 80 Millionen. Die „Allzweckwaffe“ ist das Mobilbauprogramm: Schulbauten in der sogenannten Leichtbauweise, die, wenn sie nicht mehr genutzt würden, wieder abgerissen werden und für manchen Engpaß eine kurzfristige Lösung bieten könnten.

Die vier Milliarden sind in der langfristigen Investitionsplanung des Senats festgelegt, sagt Peter Ostendorff von der Bauverwaltung. Die Schulverwaltung räumt allerdings ein, daß angesichts der leeren Kassen reiflich überlegt werden müsse, welche Schulen gebaut werden und welche nicht. Ein Rückzieher? Die knappen Finanzen seien ein Problem, räumt auch Ostendorff ein. Doch noch sei alles im Fluß. „Wir planen weiter. Was davon letztlich realisiert wird, werden wir dann sehen, aber jetzt die Ausschreibungen für die Architektenwettbewerbe zu stoppen, könnte fatale Folgen haben.“

Wenn das Geld knapp werde, müsse das Land eben Prioritäten setzen, betont die bündnisgrüne Baustadträtin von Schöneberg, Sabine Ritter. In Schöneberg seien manche Schulgebäude auf dem baulichen Stand von 1900 oder 1920. „Statt Autobahnen sollte man dann lieber Schulen bauen.“ Michaela Eck