: Unverkrampfte Würdigung für Widerstand
■ Gedenktafel erinnert an Treffen zwischen SPD und KPD im Juni 1944
In dem Haus Köpenicker Straße 76, direkt am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße, hätte Geschichte geschrieben werden können. Doch das Treffen zwischen den Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein sowie den Kommunisten Franz Jakob, Anton Saefkow und Ferdinand Thomas in der Wohnung eines Berliner Arztes am 22. Juni 1944 – einen Monat vor dem Hitler- Attentat vom 20. Juli – wurde an die Gestapo verraten. Bevor es zu einem zweiten Treffen kommen konnte, wurden die fünf Widerstandskämpfer und mit ihnen rund 200 weitere Personen verhaftet. Später wurden alle fünf zum Tode verurteilt und von den Nazis hingerichtet.
Lange Jahre war unbekannt, wer die Widerstandskämpfer verraten hatte, obwohl der Verdacht auf den sechsten Teilnehmer des Treffens, Ernst Rambow, fiel. Erst in den letzten Jahren wertete der Historiker und Leiter der Gedenkstätte deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, Quellen aus, die nach dem Fall der Mauer zugänglich wurden. Demnach steht jetzt fest, daß Rambow der Nazi-Spitzel war. Eine provisorische Ehrentafel aus dem letzten Jahr trug auch noch seinen Namen. Auf der gestern eingeweihten Gedenktafel ist der Name Rambow inzwischen getilgt.
Seit gestern erinnert die Tafel in der Köpenicker Straße an das Treffen, das der Vorbereitung auf den 20. Juli dienen sollte. Auf Anregung des Bundes der Antifaschisten und des Vereins Aktives Museum hatte die Gedenkstättenkommission des Bezirks Mitte ihre Anbringung beschlossen. Der SPD-Bundesvorstand finanzierte die Gedenktafel der Künstlerin Christine Weiss.
Noch im vergangenen Jahr, zum 50. Jahrestag des Attentats auf Hitler, hätte diese Gedenktafel eine heftige Kontroverse entfacht, ehrt sie doch auch drei kommunistische Widerstandskämpfer. Völlig unverkrampft jedoch zollte Bürgermeisterin Christine Bergmann anläßlich der Enthüllung der Gedenktafel am Vorabend des 51. Jahrestages allen fünf Teinehmern des Treffens Achtung für ihre politische Haltung. „Der Widerstand gegen Hitler ist unteilbar“, bekräftigte die SPD-Politikerin.
Tuchel würdigte das Treffen zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftern als den Versuch, kurz vor dem Attentat auf Adolf Hitler durch Oberst Graf von Stauffenberg „aus dem Widerstand des Militärs ohne Volk einen Widerstand aus dem Volk werden zu lassen“. Dies geschah „gewiß mit Wissen und Billigung der Attentäter vom 20. Juli“. Aber nicht eine Einheits- oder Volksfront sollte besiegelt werden. Trotz aller Gegensätze unter den Teilnehmern des Treffens habe, so Tuchel, alle ein Gedanke geeint: Hitler muß weg, der Krieg muß aufhören. Christoph Seils
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