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Vorschlag

■ Oswaldinho nebst Akkordeon und Band im Tempodrom

Wenn man von zwei Welten nur das beste nehmen will, dann aber doch eher halbherzig zulangt, bekommt man – na was wohl? – eine Chicken-Curry-Pizza. In der Musik ist es ebenso. Multi hin, kulti her, aber wie finden Sie es, wenn Ihnen ein hochtechnisches Midi-Akkordeon in den Ohren fiept, während der Rest der Kapelle mit ländlichen Weisen auf Glöckchen und Zimbeln zum Tanz aufspielt? Oder umgekehrt: Am linken Bühnenrand dröhnt, brummt und windet sich Oswaldinho auf seiner original Knopfgriff-Handharmonika, aber die Band spielt Funk, Fusion- Rock und Acid-Jazz.

Dabei hatte der Conférencier vom Tempodrom alles ganz richtig angekündigt: Weil selbst Weltmusik mit der Mode geht und professionelle Musiker auf der Bühne stehen, die ihr Salär mit Unterhaltung verdienen, ist auch der in São Paulo lebende Akkordeonspieler vom Weg des Volkstanzes namens Forró abgekommen. Brasil im Übergang vom Land in die Stadt und über den Flughafen von Rio in die Konzerthallen der westlichen Welt. Dafür hat Oswaldinho eine historische Ouvertüre vorbereitet, bei der er sich nur von einem Triangelspieler auf Speed und einer Rahmentrommel begleiten läßt. Das Trio wirkt mit seinen Seeräuberhüten und Cowboywesten ein bißchen deplaziert und durchgedreht, wie die Marx Brothers. Der Mann an der Triangel hämmert beängstigend wild auf sein kleines Klangdreieck ein und federt dabei in den Kniekehlen, als müsse er Gummigeschossen ausweichen; der Trommler schlägt von allem Up-Tempo ungerührt gemächlich einen halb so schnellen Rhythmus und das Akkordeon spielt im Stakkato Technoläufe.

Tatsächlich sieht man während der ersten Hälfte des Konzerts junge Menschen in Camouflage-Klamotten sich wie Obelixe auf der Love Parade verrenken, während die gesetzteren Jahrgänge verlegen von einem Fuß auf den anderen tapsen und dann gen Bierstand verschwinden. Beschallungstechnik ist in diesem Sound-Getümmel keine auszumachen, erst nach einer Viertelstunde merkt der Trommler überhaupt, daß sein Mikrofon gar nicht angestellt ist.

Doch nach vier ellenlang ausschweifenden Stücken, die ziellos im eigenen Chaos treiben, wird die Bandbesetzung ausgewechselt und elektrisch verstärkt. Mit dem Ad-hoc-Baiao- und -Bossa ist es dann vorbei. Der Tradition verpflichtet, dem Neuen aufgeschlossen, hat Oswaldinho sich in der jüngeren Jazzrock-Szene umgeschaut und sieben Menschen gefunden, die ihre hochfrisierten Bässe und E-Gitarren bedienen können. Aber nach Brasil- Soul klingt das nicht, mitunter erinnert es an die Art Jetset-Folklore, die das Easy dem Listening vorzieht. Oswaldinho scheint sich in diesem Spagat auch nicht wohl zu fühlen. Nach der Pause jedenfalls mogelt er blockweise Volksliedhaftes und Moritaten ins Set, was sich dann allerdings traurig anhört – als wäre die Hängeleiter in die Vergangenheit angeknackst. Irgendwann werden davon selbst dem Triangelspieler die Beine müde. Harald Fricke

Oswaldinho & Banda Som de Forro, heute und morgen 21.30, So 16 Uhr, Tempodrom, in den Zelten

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