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"Ich bin ein Mitesser"

■ Die prämierte Kästner-Biographie für Jugendliche von Klaus Kordon zeigt den Autor als politischen Menschen und doch als ausgesprochenes Muttersöhnchen

„Könnt ihr es begreifen und werdet ihr nicht lachen, wenn ich euch erzähle, daß Emil ein Musterknabe war? Seht, er hatte seine Mutter sehr lieb. Und er hätte sich zu Tode geschämt, wenn er faul gewesen wäre, während sie arbeitete, rechnete und wieder arbeitete“, so Erich Kästner über den naßgescheitelten Kinderbuch-Emil, hier ohne Detektive.

Der Emil-Erfinder Erich war ähnlich veranlagt. Seiner Mutter dankte er fleißig, daß sie dem Buben das Lehrerstudium ermöglichte. Wie Emils Mutter, Frau Tischbein, arbeitete Ida Kästner dafür als Friseuse. Erichs Stiefvater wiederum hieß Emil. Der leibliche Vater war der jüdische Hausarzt der Mutter, Sanitätsrat Dr. Zimmermann. Nach den „Rassengesetzen“ der Nazis galt Erich Kästner also als „Halbjude“. Publik wurde dies erst nach seinem Tod. Doch nicht Voraussicht der politischen Entwicklung, sondern Schamgefühl und Loyalität zu seiner Mutter hatten ihn zum Schweigen veranlaßt.

Mit der Emil-Figur schuf sich Erich Kästner ein Kinderbuch- Double und blieb ihm lebenslänglich treu. Schlicht gesagt hatte er ein Mutterproblem, das sich in all seinen Büchern diagnostizieren läßt. Als Kind holte er die Mutter mehrfach von der Brücke, auf der sie selbstmörderisch stand und auf ihn wartete. Ein Zettel auf dem Küchentisch gab den appellativen Hinweis, sie nicht zu suchen.

Bis an ihr Lebensende schickte Kästner seiner Mutter Tausende Briefe und Postkarten, unterzeichnet waren sie mit „Millionen Gr. u. K. Dein Junge“. Sie sollten den weiten Weg von Berlin bis nach Dresden überbrücken. Zu Berlin hatte Erich Kästner, wie er sagt, ein außereheliches Liebesverhältnis. Und obwohl die ja oft die schönsten sind, gehörte Kästners Herz letztlich eben doch der Mutterstadt Dresden.

Der andere Erich ist ein scharfzüngiger Kritiker seiner Zeit. Seine pazifistischen Gedichte, seine Glossen und Kabarettexte machen ihn mit Tucholsky vergleichbar. Ab 1933 hatte er Publikationsverbot. Bei der Bücherverbrennung in Berlin sah er die eigenen Werke in Flammen aufgehen. Später stand „Alles außer Emil“ auf der schwarzen Liste, wie in Bibliotheken hinter seinem Namen vermerkt wurde. Das berühmte Kinderbuch aus den Beständen zu nehmen erschien den Nazis wohl zu unpopulär.

In seiner Biographie für Jugendliche beschreibt Klaus Kordon Erich Kästner auf angenehme Weise distanziert. Erheitert über dessen ödipal geprägtes Privatleben verknüpft Kordon Kästners Lebensweg leicht und eingängig mit dem historischen Geschehen in Deutschland. Zu Recht wurde ihm der diesjährige Deutschen Jugendbuchpreis in der Sparte Sachbuch für diese Biographie verliehen. Er interessiert sich für den politischen Autor, ohne dabei dem Moralismus Kästners zu verfallen.

Und noch einmal die Mutter. Kordon vermutet wohl richtig, daß sie der Grund war, warum Kästner Nazideutschland nicht verließ. Naivität kann es nicht gewesen sein. Zweimal war er von den Nazis verhaftet worden, viele seiner Freunde und Bekannten emigrierten. Seinen Freund, den Illustrator Walter Trier, traf er heimlich im Grenzort Salzburg. Ein weiterer Freund, Erich Oser, der unter dem Pseudonym o. e. plauen mit Vater- und-Sohn-Geschichten brillierte, nahm sich im KZ das Leben. Kästner emigrierte nicht. Sein Leben: eine Mutter-Sohn-Geschichte.

Daß er, wie er selbst sagte, als „Beobachter“ im Land geblieben war, erschien vielen nach dem Krieg unglaubwürdig. Doch eingereiht hatte sich Kästner nicht, auch wenn er – bedingt durch sein Publikationsverbot – durchaus heikle Arbeiten übernahm. So wurde er als Drehbuchautor für den Durch- und Fröhlichhaltefilm „Münchhausen“ engagiert. Seine Qualität als Autor wurde offensichtlich geschätzt, wenn auch sein Name im Abspann wohlweislich nicht erwähnt wurde. Dennoch eine „Endsieg“-Aufgabe, die der Erheiterung Deutschlands diente. Kästner sah das nicht ohne Selbstkritik: „Ich bin ein Mitesser!“ schrieb er damals.

Zu einem weiteren Filmprojekt verhalfen ihm Freunde. In den letzten Kriegsmonaten entkam er so aus Berlin ins Zillertal. Hier sollte „Das verlorene Gesicht“ gedreht werden, ein passender Titel für diese Tage. Das Team fingierte Aufnahmen, um keinen Verdacht zu erwecken, legten aber keine Filmrollen mehr ein. Durch diese Tätigkeit war Kästner aus der Schußlinie und im sicheren Süddeutschland.

Hier blieb er mehr zufällig, wurde nach dem Krieg Kulturredakteur bei der Hauptausgabe der amerikanischen Neuen Zeitung in München, arbeitete weiter fürs Kabarett und engagierte sich ganz nach seinem Motto: „Die große Freiheit ist es nicht geworden, die kleine Freiheit – vielleicht.“ Caroline Roeder

Klaus Kordon: „Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner“. Beltz & Gelberg Verlag, 224 Seiten mit Bildteil, 19,80 DM

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