piwik no script img

Was weh tut und trotzdem wirkt

■ Krach in Boomtown: Ausgerechnet die Werbebranche klagt öffentlich über zuviel Werbung im Fernsehen und die Zerstückelung von Spielfilmen, und ausgerechnet die Privatstationen sehen sich als Opfer von Populis

Was weh tut und trotzdem wirkt

Eigentlich ist Henk Slagman ein ganz normaler Fernsehzuschauer. Wenn er spät Feierabend hat, setzt er sich vor die Glotze, spielt ein bißchen mit der Fernbedienung, bis er einen Spielfilm findet. Und wenn in der Stunde der Abrechnung die bunten Sat.1-Kugeln ins Filmbild schwirren und Sylvester Stallone trotz Knarre einer Brünetten mit Waschmittelpaket weichen muß – dann ist Henk Slagman sauer. „Immer länger“, stellt er fest, werden die Werbeblöcke, und „immer langweiliger“.

Soweit deckt sich Slagmans Wahrnehmung mit der anderer Zuschauer. Fast sechzig Prozent gaben eben in einer Marktstudie ihren Ärger über die Spots zu Protokoll, mehr als je zuvor. Doch Henk Slagman gehört nicht nur zu den Opfern, er ist einer der Verursacher des Ärgers: Slagman leitet die Hamburger Werbeschmiede Springer & Jacobi, unter anderem verantwortlich für die Werbespots von Mercedes-Benz.

Bei Kollegen gilt der Holländer mit seiner Kritik nicht etwa als einsamer Nestbeschmutzer. Als jüngst der Frankfurter Gesamtverband der Werbeagenturen (GWA) seine Mitglieder zum Thema TV-Werbung ausfragte, hagelte es Selbstkritik: Vier von fünf Werbern verlangen kürzere Werbeblöcke im Fernsehen. Ebenso viele wollen weniger Spots und vor allem bessere. Mit der Zerstückelung von Spielfilmen mag sich zudem die Hälfte der Reklamebosse nicht mehr unbeliebt machen. „Unbehagen an der TV- Realität“ schrieb der Verband über seine Zahlen.

Das Unbehagen kommt nicht von ungefähr.

Denn es ist nicht nur der Ärger beim eigenen Fernsehabend, der die Branche alarmiert. Die „Sorge um die Akzeptanz“ ihres Tuns treibt die Werbewirtschaft wieder stärker um, seit auf Wettbewerb und Wirtschaftskrise mit „erhöhtem Werbedruck“ reagiert wird.

Die Inflation der Privatsender läßt zudem ein Gefühl der Allgegenwart von Reklame entstehen. Die „Kommunikationsbranche“, wie sie sich selbst gern nennt, fürchtet einen Overkill, der zuletzt ihr selbst schaden könnte. Mit jeder Umfrage steigen die Zahlen der frustrierten Zuschauer, die ihr Kreuz bei „Werbung stört“ oder „sehe ich nicht“ machen. Die absolute Mehrheit haben sie sowieso schon seit Jahren. Aber GWA-Geschäftsführer Henning von Vieregge registriert „ein sachtes Anschwellen“. Jahrelang hat sich die Werbebranche an sich selbst berauscht, nun hat sie einen Kater.

„Man müßte Bordellpianist sein“

Dabei war ihr Image noch nie so gut. Nach den werbefeindlichen siebziger Jahren brachten ihr die Achtziger nicht nur fette Wachstumsraten, sondern auch eine kulturelle Führungsrolle. Die Werbung hatte sich als schneller erwiesen als alle anderen Bewußtseinsproduzenten: Ob es die Zahl der „beats per minute“ ist, das gültige Idol oder der Farbton der Zeit. Aber der Boom führte auch zu Selbstüberschätzung und Fluchtphantasien. „Man müßte Bordellpianist sein“, wünschte sich Werbepapst Michael Schirner.

Wer so exponiert ist, wird leicht nervös. Und so reagierte die Welt der von Werbung Lebenden recht aufgeregt auf die Kritik aus den eigenen Reihen. „Verwunderung“ gab der eine TV-Spot-Vermarkter an, „irritiert“ zeigte sich der andere. Horst Stephan, Chef der Agentur BBDO attestierte seinen Kollegen „Halbwissen“.

Am schärfsten aber reagieren die Sender. Thomas Kreyes, der Sprecher des mit Werbespots satte Gewinne einfahrenden Senders RTL, ließ sein „Erstaunen“ vermerken. Aus den Pressestellen der Agenturpartner in TV und Marketing hagelten die gängigen Vokabeln der Kritikabwehr nur so: „Hochgekocht“ und „emotional“ hieß es beim Werbedachverband ZAW, „unsachlich“ und „populistisch“ nannte RTL-Werbevermarkter ipa-Plus die Kritik.

Mit „Krach“ habe er gerechnet, sagte Henning von Vieregge, der Initiator der Umfrage, zur taz, damit, „daß man Probleme mit Kritik hat“, nicht unbedingt. Ausgerechnet jene, die in ihren Publikationen stets den Jargon der Großspurigkeit pflegen, erweisen sich auf einmal als dünnhäutig. Hinter der inhaltlichen Diskussion witterten die Betroffenen wie RTL-Chef Thoma plötzlich die gute alte Verteufelung der Werbung. Da schien es plötzlich nicht mehr um die Akzeptanz von Fernsehspots zu gehen, sondern um die eigene.

Ihren Vorstoß für weniger Spots plazierten die Agenturchefs in einem kritischen Moment. Gerade war wieder leiser Optimismus in die Räume der Agenturen eingezogen, wo man schließlich vom Optimismus lebt. Nachdem im letzten Jahr die Agenturumsätze stagniert hatten und die des Wachstumsmarkts TV-Werbung erstmals keine zweistelligen Steigerungsraten aufwiesen, witterte man für das laufende Jahr wieder Aufwind.

Die sicherste Meßmethode ist der Erfolg an der Kasse

Zugleich wächst der Druck der Werbekunden auf die Kreativen aber weiter. Das macht Werber Slagman als einen Grund für die allenthalben bemängelte miese Qualität der Spots aus: „Die Agenturen haben Schiß vor ihren Kunden.“ Kreative Spots anstatt der „ekligen, abscheulichen commercials“, glaubt Slagman, wollten die wenigsten anderen Werber machen: „Werber haben kulturelle Verantwortung, die muß man endlich mal annehmen.“

Gegen solche Visionen und Qualitätsargumente setzen die Fernsehveranstalter die Macht der Fakten. Daß die Werbung geschaltet werde, sei das Entscheidende. „Die Waschmittelleute,“ sagt RTL-Sprecher Kreyes, „haben Erfolg, weil ihre Werbung so ist.“ Und sein Werber Andreas Kühner gibt zwar ein „Störpotential“ zu, doch: „Wenn was wirken soll, muß es weh tun.“

In den Führungsetagen der Privatsender ist von einem Akzeptanzproblem schon gar nicht die Rede. Jeder hat seine eigene Abteilung, die sich emsig bemüht, die Wellen des Programmgeschehens sanft an die Gestaden der Werbeinseln plätschern zu lassen. Und auch von der Mehrzahl der Zuschauer, die selbst nach den Umfragen ihres Dachverbands VPRT nichts von Werbung sehen will, läßt man sich dort nicht beeindrucken. „In Umfragen gab es auch immer nur ganz wenige Tutti-Frutti- Seher und ganz viele der Tagesthemen“, berichtet der RTL-Sprecher. Nicht mehr als 15 Prozent der Zuschauer zappten bei Werbung weg, mißt man bei RTL. Der Haken: Wer in den Bierkeller geht, wird nicht immer erfaßt.

Noch hat die Selbstkritik der Werber die Branche nur kurz erschüttert. Schließlich hat man für Akzeptanz eine bombensichere Meßmethode: „Der Erfolg der Fernsehwerbung,“ sagt RTL-Werber Kühner ungerührt, „wird da gemessen, wo's entscheidend ist: an der Kasse, wo's klingelt.“ Bei RTL klingelt's. So sind sie die Kräfte des Marktes: Erst wenn die Verbraucher negativ reagieren und die Bilanzkurven sinken, wird sich etwas verändern.

Das droht den Werbern vielleicht Anfang nächsten Jahres: Eine Quickborner Firma will dann ein Gerät auf den Markt bringen, das TV-Spots bei der Aufzeichnung vom Bildschirm wirft. Der beste Werbeplatz für diese Innovation: am Anfang der Werbeinsel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen