■ Eine Antwort auf die Kritiker meines Artikels vom 25. 7.
: Wollt ihr denn die halbe Welt bombardieren?

Grob gesagt gibt es zwei Möglichkeiten, den Krieg auf dem Balkan zu beenden: eine militärische und eine politische. Die militärische funktioniert nur, wenn man bereit ist, Bosnien auf Jahre hinaus mit einer halben Million Soldaten zu besetzen. Das haben die Österreicher 1878 versucht.

Eine solche Besetzung kann aber nicht die Ultima ratio der Politik sein. Und da fruchtet es wenig, das eigene Wollen und die eigene gute Gesinnung gegen jede geschichtliche Erfahrung abzuschotten, wie Manfred Kriener und Walter Saller das tun. Der Lieblingssatz dieser 89er kann wohl in die Formel gepackt werden: „Die Zeiten haben sich geändert, nur ein paar Altlinke wollen es noch immer nicht begreifen.“

Aber was verstehen Kriener und Saller unter „anderen Zeiten“? Daß die Nato nun eine Friedensbewegung ist, die deutsche Außenpolitik völlig uneigennützig durch die Welt streift und die Serben die Schlächter im „Schlachthaus“ (!) sind? Ich fürchte, die Situation auf dem Balkan ist etwas komplizierter als das Weltbild von Semler, Kriener und Saller, und die so gehässig gescholtene UNO bemüht sich wenigstens, diese Kompliziertheit zu begreifen und widerzuspiegeln. Doch den Ermittlungen und Beobachtungen der UNO, die mit vielen tausend Blauhelmen vor Ort ist, wird hierzulande verdächtig wenig Platz eingeräumt.

Überraschend ist auch, daß der Hinweis auf Kontinuitäten deutscher, britischer, französischer, russischer Außenpolitik so eilfertig vom Tisch gewischt wird, obwohl die Kriege auf dem Balkan keine Erfingung von 1995 sind. In den vergangenen 120 Jahren waren sie immer eine Mixtur aus lokalen Nationalismen und imperialistischen Einflußversuchen. Die Geschichte dieser Kriege ist relativ gut erforscht, und die Interessen lokaler Profiteure spielten eine wichtige Rolle. Wer sich diesen Kenntnissen mit dem Argument entzieht, angesichts täglicher Fernsehbilder aus Bosnien habe man keine Zeit für historische Studien, wird auf dem Balkan keine Lösung finden, sondern die militärische Eskalation wählen.

Doch der Krieg könnte – vielleicht – politisch beendet werden, wenn man die unterschiedlichen Außenpolitiken der involvierten Mächte ins Kalkül zieht: Würde die Nato die geplante Osterweiterung hintanstellen, könnte die russische Regierung im Gegenzug Milošević und Karadžić zur Einstellung der Kämpfe und zu Verhandlungslösungen zwingen. Dieser Interessenausgleich im Weltsicherheitsrat könnte die Bosnien-Politik der UNO so verändern, daß die Kommando-Rivalität zwischen Nato und UNO beendet würde und der Vorrang des Politischen wieder zu seinem Recht käme. Und Großbritanniens und Frankreichs Sorgen vor einem expansiven Deutschland könnte die Regierung Kohl zum Beispiel mit der Ankündigung entkräften, daß sie ihren Antrag auf

einen Sitz im Sicherheitsrat erst mal zurück-

stellt.

Auf dieser Ebene ist von deutschen Politikern bislang so gut wie nichts versucht oder ausgelotet worden. Dieses Nichtstun dokumentiert meines Erachtens den ausdrücklichen Willen (nicht etwa das Versagen) der deutschen Regierung.

Deshalb allen Gutwilligen ins bellizistische Stammbuch: Was wir brauchen, ist eine Repolitisierung der Debatte. Feiger Tatenlosigkeit wird damit nicht das Wort geredet (denn statt die Waffenembargos aufzuheben, könnte man sie ja auch für alle Seiten verschärfen). Serbische Angriffe wurden und werden von mir nicht verteidigt (aber die Aussagen der UN-Soldaten über muslimische und kroatische Greueltaten sollte man ebenfalls nicht ignorieren). Gegen Atomtests und Giftmüllversenkung – natürlich! (Aber müssen wir deswegen die antibritischen und antifranzösischen Aufwallungen, die über Greenpeace und taz weit hinausschießen, für humanitäre Solidaritätsaktionen halten?)

Die Vertreibungen in Bosnien sind schrecklich – wer könnte das anders sehen? Aber gäbe es Bilder aus chinesischen Arbeitslagern und anderen Orten des Schreckens, müßten deutsche Tornados die halbe Welt bombardieren. Wollen wir das? Wolfgang Michal

Der Autor, „Geo“-Redakteur, bezieht sich auf Kritiken an seiner Polemik (taz vom 26. und 27. Juli).