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Der Traum von der deutschen Bombe

Atomforscher experimentierten kurz vor Kriegsende im schwäbischen Haigerloch. Bei der Einrichtung des „Atomkeller-Museums“ half Auschwitz-Leugner David Irving.  ■ Aus Haigerloch Ralph Bollmann

Romantischer kann Süddeutschland kaum sein. Tief unten schlängelt sich das Flüßchen Eyach in pittoresken Windungen durchs Tal. Im Mai und Juni blüht hier der wilde Flieder. Die Botanik der Gegend war den amerikanischen Soldaten aber gleichgültig, die im April 1945 das 16 Kilometer westlich von Hechingen gelegene Haigerloch erreichten. Sie interessierten sich für den Bierkeller des Schwanenwirts, einer Höhle im Felsen unterhalb der Schloßkirche. Dort hatten die Atomforscher des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Physik in geheimer Mission Experimente mit radioaktivem Material durchgeführt.

Die Forscher waren zuvor aus dem kriegszerstörten Berlin ins hohenzollerische Hechingen umgezogen. Sie hofften, noch vor Kriegsende eine Kettenreaktion in Gang setzen zu können – vergeblich. Der letzte Haigerlocher Atomversuch im April 1945 ergab eine siebenfache Vermehrung der Neutronen. Daraus schlossen die Forscher um Werner Heisenberg, daß sie für eine Kettenreaktion etwa die doppelte Menge Uran und schweres Wasser benötigen würden – eine Menge, die damals nicht zu bekommen war.

Fast scheint es, als würden die Haigerlocher heute die gescheiterten Atomversuche bedauern. So blieben sie zwar von radioaktiver Strahlung verschont, müssen sich aber damit begnügen, zur Weltgeschichte nur eine Fußnote beigesteuert zu haben. 1980 richtete die Stadtverwaltung ein „Atomkeller- Museum“ ein, um den Tourismus anzukurbeln und „mancherlei abenteuerlichen Vermutungen“ entgegenzutreten, so Bürgermeister Roland Trojan im Vorwort zu Broschüre und Buch, die an der Museumskasse ausliegen. Bei ihren Bemühungen, „den geschichtlichen Wahrheitsgehalt aufzuhellen“, sei die Stadt von dem „Historiker David Irving, London, großzügig mit Bildmaterial aus seinen Büchern und Sammlungen unterstützt“ worden. Ein Foto in der Broschüre zeigt Trojan und Irving bei dessen Haigerloch-Besuch 1981.

Umstritten ist der britische Publizist, seit er in seinem 1977 erschienenen Buch „Hitlers Weg zum Krieg“ behauptete, Hitler habe vom Holocaust nichts gewußt. Zehn Jahre später leugnete er unter Rückgriff auf das „Leuchter-Dokument“, daß Auschwitz ein Vernichtungslager gewesen sei. Irving ist ein gefragter Redner bei rechtsradikalen Parteien und Organisationen. In Deutschland trat er in den letzten Jahren unter anderem auf Veranstaltungen der DVU, der NPD und des FAP-Ablegers „Nationale Offensive“ (NO) auf.

Die beiden Publikationen des „Atomkeller-Museums“ enthalten Auszüge aus Irvings 1967 veröffentlichtem Buch „Der Traum von der deutschen Atombombe“. Irvings spätere Thesen sind darin noch nicht enthalten, wohl aber seine Neigung, mit beachtlichem Spürsinn zusammengetragene Dokumente ohne die gebotene Distanz zu verarbeiten. Ein Erfolg des Haigerlocher Versuchs wäre, heißt es in dem Buch, „eine großartige Leistung für eine Nation im Krieg gewesen, die solche harten Schläge erlitt – doch der Geist der Nation hätte dann bis zum letzten Augenblick funktioniert“.

Bürgermeister Trojan sieht in der Zusammenarbeit mit Irving kein Problem. „Zu seinen Äußerungen über Hitler stehe ich nicht“, betont er zwar gegenüber der taz, doch halte er das Buch über die deutsche Atomforschung für „wissenschaftlich korrekt“. Auch Irvings Rommel-Biographie habe ihn beeindruckt. Seine Thesen zum Holocaust einerseits und die übrigen Veröffentlichungen andererseits seien „zwei Paar Stiefel“, man könne ihn deswegen „nicht totschweigen“. Auf das Foto mit Irving würde er daher auch in einer Neuauflage nicht verzichten.

Für die Ausstellung aber, so Trojan, habe Irving nur das Bildmaterial geliefert, die inhaltliche Konzeption gehe auf den damals beteiligten Atomforscher Karl Wirtz zurück, der seine Arbeit später am Kernforschungszentrum Karlsruhe fortsetzte. Dementsprechend zeichnet sie eine unkritische Erfolgsgeschichte der zivilen Atomforschung in Deutschland, von den 30er Jahren bis zur Bundesrepublik. „Die Atombombe stand nicht auf dem Programm“, stellte Wirtz bei der Einweihung des Museums lapidar fest.

Das mag zwar für die Haigerlocher Versuche zutreffen. Als sich das Heereswaffenamt neben anderen Institutionen aber 1939 der deutschen Atomforschung annahm, hatte es keinesfalls nur eine „friedliche“ Nutzung der Kernenergie im Auge. Erst als sich Rüstungsminister Albert Speer 1942 gegen eine Priorität der Kernforschung entschied, war klar, daß es während des Krieges keine deutsche Atombombe geben würde. In Deutschland fehlten die erforderlichen Ressourcen. Dadurch wurde, wie Heisenberg später erleichtert feststellte, den deutschen Forschern die Entscheidung gleichsam aus der Hand genommen.

Außerdem soll das „Atomkeller-Museum“ „zur Versachlichung der in weiten Bereichen emotional geführten Diskussion um die Energiequelle ,Kernspaltung‘“ beitragen. „In der Natur kommen radioaktive Stoffe immer und überall vor“, belehrt deshalb die letzte Vitrine den Museumsbesucher. Doch scheinen die Ausstellungsmacher ihrer Sache selbst nicht mehr ganz sicher zu sein. Der Geigerzähler, mit dem man sich von der Radioaktivität der ausliegenden natürlichen Substanzen überzeugen kann, ist außer Betrieb.

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